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Die Krim und ihr Erlöser

Von Michael Schmölzer

Politik

Putin besiegelt mit feierlichem Akt eine fragwürdige "Wiedervereinigung".


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Moskau/Wien. Unter tosendem Applaus und mit großem zeremoniellem Aufwand hat Wladimir Putin gestern die Annexion der Krim besiegelt. Die Halbinsel sei "untrennbarer" Teil seines Landes, legt der Präsident in einer gut orchestrierten Rede seine Sicht der Dinge dar. Die Abstimmung vom Wochenende sei demokratisch und im Einklang mit internationalem Recht abgelaufen.

Schließlich unterzeichnete Putin mit großer Geste den Vertrag über die Aufnahme der Krim in die Russische Föderation. Vertreter der prorussischen Krim-Führung, darunter Regierungschef Sergej Aksjonow, setzten, sichtlich bewegt, ihre Unterschrift unter das Dokument.

Davor hatte Putin alle Register gezogen: Die Übergabe an die Ukraine durch den sowjetischen Kremlchef Nikita Chruschtschow 1954 nannte er einen "historischen Fehler", die Verantwortlichen würden von Gott persönlich vor Gericht gestellt. Die Entscheidung sei "auf den Korridoren" getroffen worden, aber nicht einmal im Einklang mit der damaligen sowjetischen Verfassung gewesen. Dann verglich Putin die Annexion der Krim mit der deutsch-deutschen Wiedervereinigung: Russland habe damals im Gegensatz zu einigen anderen Ländern ausdrücklich dem Willen des deutschen Volkes für eine Einheit zugestimmt - nun solle der Westen das Gleiche im Fall Russlands akzeptieren. Den USA warf Putin vor, einem "primitiven Zynismus" anzuhängen und ihre Außenpolitik nach dem "Recht des Stärkeren" auszurichten.

"Werden in Ecke gedrängt"

Das Ende des Kalten Krieges, so Putin, habe die Welt nicht sicherer gemacht. Das US-Faustrecht habe 1999 in Jugoslawien gegolten, dort seien auf eine europäische Hauptstadt - Belgrad - Bomben geworfen worden, und eine Intervention habe begonnen. Auch Libyen sei bombardiert worden, ohne dass es dafür einen internationalen Beschluss gegeben habe. "Wir werden ständig in eine Ecke gedrängt, aber alles hat seine Grenzen." Im Fall der Ukraine schließlich, habe der Westen die entscheidende rote Linie überschritten. Außerdem ist man in Moskau fest entschlossen, die bereits beschlossenen Sanktionen der EU und der USA mit Gegenmaßnahmen zu beantworten.

Washington hat in der Tat wenig Verständnis für Putins Position: Das russische Vorgehen auf der Krim sei "nichts anderes als Landraub", so US-Vizepräsident Joe Biden, die Vereinigten Staaten seien zu neuen Strafen gegen Russland bereit, wenn die Annexion der Krim weiter vorangetrieben würde.

"Mord und Terrorismus"

Knapp vor dem Sturz des ukrainischen Präsidenten Wiktor Janukowitsch waren drei EU-Außenminister, darunter der deutsche Frank-Walter Steinmeier, nach Kiew gereist, um zu vermitteln. Das am 21. Februar verhandelte Abkommen zwischen Opposition und Regierung wurde von den Ereignissen ausgehebelt, als die wütende Menge am Maidan die Absetzung Janukowitschs forderte und den Präsidenten zur Flucht zwang. Putin spricht in diesem Zusammenhang von einem "Staatsstreich", der mit Mord und Terrorismus einhergegangen sei. Unter den neuen Kräften seien Faschisten, Russlandfeinde und Antisemiten. Damit gab er im Wesentlichen die altbekannten Standpunkte des Kremls wieder, die über die russischen Staatsmedien seit Wochen überall in Russland verbreitet werden.

Völkerrechtlich gehört die Krim freilich weiterhin zur Ukraine - dem Referendum und der gestrigen Vertragsunterzeichnung zum Trotz. Die Ukraine hat umgehend erklärt, dass man den Vertrag zur Angliederung der Krim an Russland nicht anerkenne.

Schließlich beteuerte Putin, dass eine weitere Annexion ukrainischen Territoriums nicht Ziel seiner Politik sei. "Wir wollen keine Spaltung der Ukraine wir brauchen das nicht." Die nationalistische, religiös verbrämte Rede Putins, der Umstand, dass ihm Täuschungsmanöver nicht fremd sind, lassen Zweifel an den Absichten des Ex-KGB-Agenten zu. Er wolle die Konfrontation mit dem Westen nicht anheizen, aber die russischen Interessen verteidigen, so Putin - der aber deutlich erkennen ließ, dass er die Ukraine weiterhin als russisches Einflussgebiet sieht: Kiew sei "die Mutter aller russischen Städte". Russland werde die Interessen der Russen in der Ukraine immer schützen. Damit erhebt Putin indirekt Ansprüche auf den Osten und Süden der Ukraine - und will verhindern, dass sich Kiew der EU annähert.

Zumindest die Finanzmärkte waren kurzfristig erleichtert, die Kurse gingen nach oben. Putin habe die Angst vor einer Eskalation dämpfen und die Märkte beruhigen können, hieß es.

Nach dem Umsturz in Kiew, so Putin, habe man die Menschen auf der Krim nicht im Unglück lassen können. "Das wäre Verrat gewesen." Auf der Krim gebe es Stätten mit tausend Jahren russischer Geschichte, "und jeder dieser Plätze ist uns heilig". Die Halbinsel sei außerdem von enormer strategischer Bedeutung für die Region, die dringend Stabilität brauche. "Diese Stabilität kann nur eine russische Stabilität sein", so Putin. Dann versprach der russische Präsident, auf der Krim drei Amtssprachen einzuführen: Russisch, Ukrainisch und Krimtatarisch. "Die Krim soll das Haus vieler Völker sein." Als erste Maßnahme hätten die neuen Machthaber die Minderheiten im Land diskriminiert. In der Tat wollte die neue ukrainische Regierung knapp nach der Revolution Russisch als zweite Amtssprache verbieten.

Die Reaktionen auf Putins Rede fielen durchwegs negativ aus. Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel konnte die Analogie zur deutschen Wiedervereinigung offenbar nicht nachvollziehen und kritisierte die Angliederung er Krim. Diese verstoße genau wie das "sogenannte Referendum gegen das internationale Recht". Deutschland und die internationale Gemeinschaft würden aber - neben Sanktionen - weiter auf Dialog setzen.