Führende Ökonomen sind besorgt wegen des Auseinanderklaffens der Einkommensschere, die längst nicht mehr nur ein sozial-ethisches Problem, sondern ein ökonomisches geworden ist.
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Die Auffassung, wonach die Krise vorbei wäre, ist leider zu optimistisch. Die Krise war - und ist - das Resultat einer immer ungleicher werdenden Einkommensverteilung in den USA und auch weltweit.
Wenn eine kleine Gruppe von Hedgefonds-Managern und anderen "Finanz-Alchemisten" jährlich Milliardenbeträge verdient, sodass sie ihr Einkommen beim besten Willen nicht mehr für Güter und Dienstleistungen ausgeben kann, und eine große Gruppe von Niedriglohnbeziehern, Arbeitslosen, Mindestrentnern, Sozialhilfe-Empfängern und Dritte-Welt-Bürgern so wenig verdient, dass es oft nicht für das Lebensnotwendigste reicht, fehlt es der Wirtschaft an Kaufkraft für reale Produkte und Dienstleistungen. Dann lohnt es sich auch für Unternehmen nicht, in den Betrieb zu investieren, sondern auch sie werden ihre Gewinne im Finanzsektor veranlagen und damit mithelfen die nächste Finanzblase aufzubauen.
Führende Ökonomen, wie Nobelpreisträger Joseph Stiglitz und Paul Krugman, sind besorgt wegen des Auseinanderklaffens der Einkommensschere, die längst nicht mehr nur ein sozial-ethisches Problem, sondern ein ökonomisches geworden ist. Der im Vorjahr unerwartet verstorbene Bremer Ökonom Jörg Hufffschmid warnte unermüdlich vor den ökonomischen Gefahren eines Abhebens des Finanzsektors vom realen Sektor.
Auch der US-Ökonom James Galbraith spricht in seinem Buch "The predatory state" vom Räuberstaat, in dem kleine Gruppen von der Privatisierung der Märkte und der Finanzkrise profitiert haben. Mit dem weltweiten Finanzvermögen könnten heute sechsmal mehr reale Güter und Dienstleistungen gekauft werden, als dies der Fall ist.
Die Anti-Krisenpolitik in den USA und in Europa hat das System leider bisher so stabilisiert, dass genau jene Gruppen, die zum Wachstum des Finanzsektors beigetragen haben, fleißig weiter anlegen können, während die Sparprogramme bei jenen ansetzen, die Güter nachfragen könnten.
Die jüngsten EU-Vorschläge, Europas Finanzprobleme statt mit einer Finanztransaktionssteuer mit einer deutlich weniger lukrativen Finanzaktivitätssteuer - einer Art Umsatzsteuer für Banken - zu mildern, erstaunt. Gerade der gut florierende Derivathandel des Finanzsektors bliebe dann großteils unbesteuert. Auch die Vehemenz, mit der man die Euro-Länder zwingen will, die Verschuldung wieder auf 60 Prozent des BIP zurückzubringen, erstaunt in Zeiten von niedrigen Zinsen, in denen Staatsschulden den Öffentlichen Sektor der meisten EU-Länder ja eigentlich fast nichts kosten und nur deshalb gewachsen sind, weil man den Finanzsektor saniert hat.
Es gäbe wahrlich Wichtigeres zu tun, nämlich Einkommen jenen Gruppen zukommen zu lassen, die Güter und Dienstleistungen kaufen.
Brigitte Unger ist Professorin für Finanzwissenschaft an der Universität Utrecht und Mitbegründerin von Attac Österreich sowie des Beirates für gesellschafts-, wirtschafts- und umweltpolitische Alternativen (www.beigewum.at). Sie ist Vortragende bei der prominent besetzten internationalen Konferenz "Europa in der Krise" am 9./10. Dezember in Wien (www.europa-in-der-krise.at).
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