Es hilft jetzt nichts mehr, die Stimmen in Erinnerung zu rufen, die vor der großen Finanzkrise gewarnt haben. Es ist vielmehr an der Zeit, Konsequenzen daraus zu ziehen.
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Im jüdisch-christlichen Denken, das unsere Kultur geprägt hat, ist Gott zwar Herr der Geschichte, vermeidet es aber, ständig in das Treiben der Menschen einzugreifen. Er lässt vielmehr "die Sonne aufgehen über Gute und Böse".
Aber im Volk gibt es seit Urzeiten die Erkenntnis, dass Unrecht und üble Tat keinen dauernden Bestand haben. Geht doch der Krug solange zum Brunnen, bis er bricht, wachsen die Bäume nicht in den Himmel und mahlen Gottes Mühlen langsam, aber sicher. An diese Weisheiten wird man erinnert, wenn man angesichts der großen Krise hört, eigentlich hätte niemand derart Schlimmes voraussehen können.
Eine üble Art von Wahrheitsverdrängung ist das. Seit vielen Jahren war der vielstimmige Chor der Mahner unüberhörbar. Man denke nur an den Ökonomen Erich Streissler, der auch in der "Wiener Zeitung" auf die verhängnisvolle Entwicklung in den USA hinwies. Dort fehlte es nicht nur am Sparen, sondern weit überzogener Konsum trieb die allgemeine Verschuldung ins Gigantische. Aber es geht nicht nur um dieses Land. Längst hatte sich weltweit eine egoistische Gesinnung ungehemmter Gier ausgebreitet, welche zu einer Verrohung der Sitten führte.
Nun hilft es nichts mehr, in Erinnerung zu rufen, was an Bedenken, Mahnungen und Warnungen ungehört blieb. Längst war ja der Kern des Übels zu erkennen. Abseits der realen Wirtschaft verselbständigte sich ein aufgeblasenes Finanzsystem, das den geschickte Einsatz von Geld als Quelle phantastischer und scheinbar ewiger Gewinne ansah. Aber niemand dachte daran, dass im Kasinokapitalismus der um den Globus gejagten Milliarden nur profitiert wird, was andere verlieren. Er schafft keine Werte, sondern verschiebt diese oder vernichtet sie gar.
Viele werden jetzt fürchterlich geschädigt, am schlimmsten, wenn es um Notgroschen und Altersvorsorge geht. Die Schlussrechnung zahlt der Staat, und das sind ja wir alle.
Eigentlich ist unbegreiflich, dass sich ein solches Maß der Verblendung entwickeln konnte. Betrachtet man die Geschichte, führt es offenbar immer zum kollektiven Wahnsinn, wenn den Menschen leichter Gewinn versprochen wird. Früher durch Eroberung oder Enteignung der Anderen und nun durch die Zaubermacht des Spieles mit dem Geld.
Jetzt soll internationale Politik den Schaden begrenzen. Doch die herbeieilenden Retter waren Mittäter, die nichts gesehen, gehört und gesagt haben. Auch ihre Verantwortung ist zu erkennen und ihre keineswegs geringe Schuld ohne Pardon "aufzuarbeiten".
So könnte die Krise heilsam sein, indem wir die Schwächen unserer Systeme zu erkennen und zu überwinden lernen. Sind Staat und Wirtschaft doch immer so gut oder schlecht, wie jene Menschen, die sie handhaben. Es gibt nicht nur einen Sanierungsbedarf bei den Finanzen, sondern auch bei jenen moralischen Kräften, ohne die es keinem Gemeinwesen wohl ergehen kann.