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Die Krise vor Gericht

Von WZ-Korrespondent Peter Nonnenmacher

Wirtschaft

In Irland müssen sich erstmals drei Banker als Mitverantwortliche für den Kollaps des Finanzsystems verantworten.


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Dublin. Welche Bedeutung die Staatsanwälte in Dublin dem Prozess beimessen, lässt sich allein am Aktenvolumen ablesen. Mehr als 24 Millionen Dokumente und 800 Zeugenaussagen wurden in den vergangenen Monaten zusammengetragen, für die Kisten, in denen all das untergebracht ist, mussten im Zentralen Strafgerichtshof sogar zusätzliche Räume gefunden werden.

Die irischen Staatsanwälte beschreiten allerdings auch Neuland. Denn der am Mittwoch beginnende Prozess gegen drei Bosse der in die Pleite geschlitterten Anglo Irish Bank ist nicht nur das bisher größte strafrechtliche Verfahren in der Geschichte des Landes, es ist auch der ersten Fall in der Europäischen Union, bei dem Mitverantwortung für die Kredit- und Finanzkrise vor sechs Jahren von einem Schwurgericht geahndet werden soll.

Forderungen nach einer Bestrafung irischer Banker waren in den letzten Jahren immer wieder laut geworden. Denn der Banken-Crash von 2008 hatte zum Kollaps der irischen Staatsfinanzen und in der Folge zu drakonischen Austeritäts-Maßnahmen, zur Verarmung vieler Iren und zu einer gewaltigen Emigrationswelle geführt. Im Herzen der Krise stand die Anglo Irish Bank, die Bauhaien und Immobilien-Spekulanten in den Boom-Jahren des "Keltischen Tigers" enorme Summen zur Verfügung stellte. Als Irlands notorische "Spekulanten-Bank" in die Knie ging, wandte die damalige irische Regierung fast 30 Milliarden Euro an Steuergeldern auf, um sie zu retten. Danach musste sich Irland selbst von EU, Europäischer Zentralbank und IWF vorm Staatsbankrott retten lassen. Mittlerweile hat Dublin zwar den europäischen Rettungsschirm wieder verlassen, die irischen Banken sind aber noch längst nicht aus dem Schneider. Die Anglo Irish ihrerseits ist mittlerweile verstaatlicht worden. Sie läuft jetzt unterm Namen Irish Banking Resolution Corporation.

Im ganzen Land verhasst

Die drei Anglo-Irish-Manager, die ab Mittwoch vor Gericht stehen, sind der ehemalige Aufsichtsratsvorsitzende und Generaldirektor, Sean FitzPatrick, und die beiden Finanzdirektoren Pat Wheland und Willie McAteer. Sie sollen im Sommer 2008 insgesamt 16 Personen auf unrechtmäßige Weise Bank-Anteile zugespielt haben, um den Kurs der Aktien nach oben zu treiben - darunter mehreren Mitgliedern des sogenannten Quinn-Clans, der ehedem reichsten Familie im Land.

FitzPatrick, McAteer und Wheland gehören zu den verhasstesten Persönlichkeiten in Irland. Sie werden von vielen Landsleuten als "Hauptschurken" im Drama um die nationale Misere betrachtet. Es hat zahlreiche Demonstrationen gegen sie gegeben - und weitere Kundgebungen werden während des nun anlaufenden Verfahrens erwartet.

Die Behörden haben deshalb auch besondere Sicherheitsmaßnahmen ergriffen, um Zwischenfälle auszuschließen. Auf die Geschworenen-Bänke sind etwa nur Mitbürger zugelassen worden, die glaubhaft versichern konnten, dass sie keine Hassgefühle gegen die Anglo Irish oder gegen die Angeklagten hegen. Drei Ersatzleute wurden zudem schon vorab vereidigt. Andererseits hat das Gericht zusätzliche Zuschauerräume mit Video-Übertragung zur Verfügung gestellt, weil mit beträchtlichem öffentlichem Interesse gerechnet wird.

Irische Juristen gehen davon aus, dass der Prozess drei bis sechs Monate lang dauern wird. Doch das für Sommer erwartete Urteil dürfte erst den Auftakt für eine ganze Reihe weiterer Anschluss-Verfahren darstellen, die derzeit schon vorbereitet werden. Das Ganze könne sich "noch Jahre hinziehen", meinen Insider in Dublin. Eine separate Untersuchung der Finanzkatastrophe hat, für die Zeit nach den Strafverfahren, das Parlament versprochen.

Schlagzeilen gemacht hatte das Anglo-Irish-Debakel zuletzt im vorigen Sommer, als der "Irish Independent" auf Tonbänder stieß, die Witzeleien mehrerer Bankdirektoren zur Rettung der Bank aufgezeichnet hatten. Die Beteiligten hatten unter anderem darüber gespottet, dass die Summe von sieben Milliarden Euro, die sie der Regierung als nötig für die Rettung der Bank genannt hatten, völlig frei erfunden war. Die Manager hatten sich zudem über deutsche und andere europäische Steuerzahler lustig gemacht, die im Begriff standen, das irische Finanzsystem aufzufangen.

Höhere Strafen für Finanzmarktbetrüger in der EU

Insiderhandel und Marktmanipulation sollen in der Europäischen Union künftig einheitlich mit mindestens vier Jahren Haft bestraft werden. Mit großer Mehrheit verabschiedete das EU-Parlament am Dienstag in Straßburg eine entsprechende Richtlinie, die das Recht in diesem Bereich vereinheitlichen und Finanzmarktbetrüger durch härtere Strafe abschrecken soll.

Die neuen Vorschriften, die noch formell vom EU-Ministerrat angenommen werden müssen, sind auch eine Reaktion auf die jüngsten Skandale um die Manipulation der Interbanken-Referenzzinssätze Libor und Euribor durch mehrere Großbanken. "Der Libor-Skandal ist wohl nicht der letzte seiner Art", sagte die sozialdemokratische britische Berichterstatterin Arlene McCarthy. "Denn wir hören bereits von Marktmanipulationen auf den Öl-, Gas- und Devisenmärkten."