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Die kritischen EU-Enthusiasten

Von Erhard Fürst

Gastkommentare

Alle Parteien haben ihre (Spitzen-)Kandidaten für die EU-Wahl nominiert, etwaige Nebel über den Wahlprogrammen lichten sich. Europa kann zufrieden sein, alle bekennen sich zu ihm. Allerdings nur selten zum real existierenden Europa, sondern zu einem "anderen".


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Wie soll dieses "andere" Europa aussehen? Vergessen wir die fröhliche Reimerei "Bürgerrecht statt Europaknecht" oder "Abendland in Christenhand". Es sollte ein Staatenverbund sein mit größtmöglicher Freiheit für die Mitgliedsstaaten. Bei allen wichtigen Fragen soll es nationale Volksabstimmungen geben und die gesamte Legislativkompetenz an das Parlament übergehen. Weniger Zentralismus und mehr Subsidiarität und Transparenz werden gefordert und gleichzeitig ein "sozialeres Europa" mit EU-weiten Arbeits- und Sozialstandards und Steuersätzen.

Europa soll atomfrei, gentechnikfrei und weitgehend entmilitarisiert sein und die Zentrierung auf den wirtschaftlichen Bereich zurücknehmen, soll ein Bollwerk gegen die Globalisierung und den Neoliberalismus werden, gleichzeitig aber nach außen stark sein, um seine Interessen (welche?) gegenüber den USA und China durchsetzen zu können.

Der Wähler sollte vor diesem verwirrenden Angebot erst einmal in sich gehen und fragen, ob er überhaupt für den europäischen Einigungsprozess ist. Ist die Antwort positiv, muss er bei aller Kritik im Detail die bisher erreichten, großartigen Erfolgen der europäischen Einigung anerkennen und nationale Volksabstimmungen zu europäischen Fragen ablehnen, da sie zwangsläufig zum Zerfall der EU führen. Will der Wähler ein "soziales" Europa, verlangt er damit, die heute noch überwiegend nationalstaatlich bestimmten Sozialsysteme durch "Brüssel" regeln zu lassen.

Er muss sich auch klar sein, dass eine starke Vertretung österreichischer Interessen in der EU die Ablehnung eines alleinigen Gesetzgebungsrechts des Parlaments impliziert und eine starke Rolle des Rates. Er muss (wenngleich zähneknirschend) gegen eine Offenlegung des Verhandlungs- und Abstimmungsverhaltens der nationalen Vertreter im Rat sein, weil es andernfalls keine europäischen Entscheidungen, sondern nur noch innenpolitisch motivierte Blockaden geben wird.

Will der Wähler ein starkes Europa im Konzert der Weltmächte haben, muss er sich gegen jede Verwässerung des auf Wettbewerb basierenden Europäischen Binnenmarktes und seiner Freiheiten ebenso wenden wie gegen ein Infragestellen des Euro und die Aufgabe des Führungsanspruchs im internationalen Technologiewettbewerb.

Sind diese Punkte abgehakt, bleibt noch genug Platz für eine bessere Union mit weniger Bürokratie. Apropos: Als kürzlich die ominöse Regelung der Gurkenkrümmung abgeschafft werden sollte, sprach sich Österreich dagegen aus.

Erhard Fürst war Leiter der Abteilung Industriepolitik/

Wirtschaft in der Industriellenvereinigung.