2011 blieben nur zehn EU-Staaten unter der Defizitgrenze von drei Prozent.
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Brüssel. Die Zahl der EU-Musterschüler ist überschaubar. Nur vier von 27 Ländern müssen sich derzeit nicht mit einem Defizit-Verfahren herumschlagen: Schweden, Estland, Finnland und Luxemburg. Nach jüngsten Zahlen der Statistikbehörde Eurostat (Grafik) sind 2011 sechs weitere Staaten unter der Maastricht-Defizitgrenze von minus 3 Prozent geblieben: Österreich, Ungarn, Bulgarien, Dänemark, Deutschland und Malta. Ungarn konnte sogar ein Defizit von 4,2 Prozent 2010 in einen Überschuss von 4,3 Prozent umwandeln. Dabei handle es sich aber um Einmaleffekte und keine nachhaltige Budgetsanierung, kritisiert die Kommission. Deshalb werde nicht automatisch das Verfahren beendet. Insgesamt ist das öffentliche Defizit der EU-27 (auf -4,5 Prozent) und der 17 Eurostaaten (-4,1 Prozent) gesunken. Die Staatsschuldenquote hingegen ist auf 82,5 (EU) und 87,2 Prozent (Eurozone) gestiegen.
Nach Vorstellung der Regierungschefs soll der Fiskalpakt die Wende bringen: Ende Jänner haben sich 25 EU-Staaten bilateral auf Schuldenbremsen und strenge Haushaltsregeln verpflichtet. Unter Ökonomen wird das kontroversiell diskutiert: Die "relativ radikalen Sparmaßnahmen" werden die Schulden nicht senken, sagt Wifo-Forscher Stephan Schulmeister. Der Fiskalpakt führe zum "griechischen Weg": geringere Investitionen, hohe Arbeitslosigkeit, weniger Wachstum. In Ländern wie Italien werde es einen "ganz massiven Wirtschaftseinbruch" geben. Damit gehe sich ein Schuldenabbau rein rechnerisch nicht aus: Schrumpft das BIP, steigt die Schuldenquote, die in Relation dazu berechnet wird. Laut Schulmeister sind die Staatsschulden gestiegen, weil die Unternehmen ab den 1970ern aufgehört hätten, in die reale Produktion zu investieren - und stattdessen auf den Finanzmärkten spekulieren: "Wir lassen das Geld für uns arbeiten." Sparüberschüsse von Haushalten und Firmen musste der Staat mit Defiziten quasi ausgleichen.
In Schulmeisters Alternativszenario könnte die Eurozone mit Eurobonds Schulden zum Billigzinssatz von zwei Prozent aufnehmen. Dann wäre das Wachstum höher, es gäbe weniger Arbeitslose - und die Schulden könnten sinken.
Völlig unrealistisch, widerspricht Ulrich Schuh, Ökonom der Industriellen-Denkfabrik Eco Austria: "Schulmeister unterstellt, dass uns die Finanzmärkte immer Geld geben werden. Oder er denkt an eine Art Planwirtschaft, wo der Staat über die Zinsen und die Preise entscheidet." Natürlich sei ein Schuldenabbau über Budgetkonsolidierung möglich, betont Schuh - er verweist auf Schweden, wo genau das gelungen sei.
Fiskalpakt wackelt in Polen
Dem von Angela Merkel und Nicolas Sarkozy angestoßenen Fiskalpakt wollen nur Großbritannien und Tschechien explizit nicht beitreten. In Frankreich will François Hollande im Fall eines Wahlsiegs den Pakt nachverhandeln. In Irland stimmt die Bevölkerung am 31. Mai ab. Und in Polen zweifelt neuerdings ein Gutachten im Auftrag des Parlaments an der Rechtskonformität des Paktes.