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Die Kuffners aus Ottakring

Von Christopher Erben

Reflexionen
Brauerei-Mitbetreiber Ignaz Kuffner (l.) und Sohn Moriz, Gründer der Sternwarte.
© Bezirksmuseum Ottakring

Wie eine einzige Familie die Entwicklung des 16. Bezirks nachhaltig prägte. Eine Spurensuche.


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Die Kuffnergasse in Wien-Ottakring gehört zweifelsohne nicht zu den schönsten des früheren Arbeiterbezirks. Nur selten verirrt sich ein Besucher hierher. Doch das Viertel rundherum ist eines der geschichtsträchtigsten vom 16. Hieb, wie ihn manche Zeitgenossen liebevoll im Dialekt bezeichnen. Denn keine hundert Meter von der Gasse entfernt ragt der Darreturm der Ottakringer Brauerei in den Himmel. Dieses bereits von Weitem sichtbare Bauwerk überragt den Bezirk seit dem Jahr 1907 und steht nicht nur für die Brauerei, sondern auch für eine Familie, die den Aufschwung und die kommunale Entwicklung der Gemeinde und des späteren Bezirks mitbestimmte und ihm einen Stempel aufdrückte: die Familie Kuffner.

Die Geschichte der Brauerei in Ottakring reicht bis in das Jahr 1837 zurück. Müllermeister Heinrich Plank erwarb einen Grund im Gebiet der heutigen Feßtgasse vom Chorherrenstift Klosterneuburg und ließ hier eine Braustätte errichten. Doch finanzielle Probleme zwangen ihn zu deren Verkauf. 1850 übernahmen die aus dem mährischen Lundenburg (heute Břeclav, Tschechien) stammenden Cousins Ignaz und Jakob Kuffner den Betrieb und bauten ihn aus und um.

Nach wenigen Jahren konnten sie eine weitere kleine Brauerei in Oberdöbling erwerben. Beide Brauereien wurden in einer Firma zusammengeschlossen, an der die zwei Familien bis 1938 zu je 50 Prozent beteiligt waren. Bereits nach ihrer Ankunft in Wien engagierten sie sich an ihrem neuen Wohnort.

Bürger und Edelmann

Für die damalige Zeit ungewöhnlich war etwa, wie Ignaz (1822-1882) und Jakob Kuffner (1817-1891) ihre Mitarbeiter großzügig unterstützten. So erhielten sie in der Fabrikskantine vergünstigte Mittagessen oder wurden von Ärzten medizinisch versorgt, wenn sie erkrankten. Sowohl auf dem Brauereigelände als auch in den Straßen Ottakrings entstanden für sie Betriebswohnungen, in die viele mit ihren Familien einzogen.

Die Brauereibesitzer veranstalteten in der Brauerei etwa einen Ball, um für mittellose Mädchen zu sammeln. Auch spendeten sie für das Ottakringer Armeninstitut und für Spitäler. "Diese sowie eine Reihe weiterer sozialer Leistungen waren für einen Unternehmer im 19. Jahrhundert keineswegs selbstverständlich", ist Franz Prokop (SPÖ), Bezirksvorsteher von Wien-Ottakring, überzeugt. "Für die Kuffners hingegen schon."

Ignaz Kuffner wurde zum Dank für seinen Einsatz in der Gemeinde sogar zweimal mit absoluter Mehrheit zum Ottakringer Bürgermeister gewählt. Während seiner Amtszeit, die von 1869 bis 1876 reichte, begann eine Zeit des Aufschwungs der bis 1891 noch eigenständigen Gemeinde: So wurde eine Freiwillige Feuerwehr gegründet, für die Kuffner eine neue Feuerspritze anschaffte, und die Verkehrssituation verbessert, es wurden mehrere Schulen erbaut und das erste Postamt wurde eröffnet. Auch ein neues Armenhaus wurde unter seiner Amtszeit errichtet.

Sein Bürgermeistergehalt soll der Brauereibesitzer für wohltätige Zwecke gespendet haben, berichten Chronisten. Ignaz Kuffner, der dem Vorstand der Israelitischen Kultusgemeinde angehörte, vermachte in seinem Testament 5.000 Gulden einem jüdischen Tempel in Ottakring. Sein Sohn Moriz erhöhte den Betrag, sodass damit schließlich ein Grundstück in der Hubergasse 8 bei der Ottakringer Straße gekauft werden konnte. Die Grundsteinlegung für die Synagoge erfolgte im Jahr 1885 und bot rund 680 Menschen Platz. Nach wenigen Jahren wurde sie erweitert.

Noch in seiner Zeit als Bürgermeister ernannte ihn Ottakring am 19. Dezember 1873 zum Ehrenbürger der Gemeinde und nach einem Beschluss vom 11. April 1878 wurde er mit dem Ehrenwort "Edler" in den Adelsstand erhoben. "In Anerkennung seines gemeinnützigen und patriotischen Wirkens" wurde ihm auch das Ritterkreuz des Franz-Joseph-Ordens verliehen. Anlässlich dieser Auszeichnung ermöglichte Ignaz Kuffner mit einer Spende unter anderem den Bau einer ersten "Kommunal-Kinderbewahranstalt" in der heutigen Arnethgasse in Ottakring, wo Kinder ohne Rücksicht auf ihre Konfession aufgenommen wurden.

Die Kuffners waren für ihre "sehr fortschrittlichen, emanzipierten und demokratischen Ideen" über die Bezirksgrenzen hinaus bekannt. Sie machten Ottakring zu einem Musterbeispiel für echte Brüderlichkeit und vorbildliches konfessionelles Zusammenleben, das bis heute anhalte, so Franz Prokop im Gespräch.

Für Jochen Müller, den Leiter des Bezirksmuseums Ottakring, waren die Kuffners einzigartige Wohltäter.
© Christopher Erben

"Bis heute kennen zwar viele Bewohnerinnen und Bewohner die Kuffners. Ihr Engagement gerät aber leider zunehmend in Vergessenheit", bedauert Jochen Müller vom Bezirksmuseum Ottakring am Richard-Wagner-Platz. Anhand vieler Exponate wird hier nicht nur die Familiengeschichte der Kuffners erzählt, sondern auch die Ausgrenzung und Vertreibung der jüdischen Mitbürger durch die Nationalsozialisten, die auch die Kuffners als Juden am eigenen Leib erleben mussten. Für Bezirksvorsteher Franz Prokop ist das Museum ein weiterer Erinnerungsort, an dem die Leistungen der Kuffners für die frühere Gemeinde und den späteren Bezirk gewürdigt werden.

Der Zeit voraus

Ignaz Kuffner verstarb am 23. März 1882 und wurde in der Familiengruft am jüdischen Friedhof im Lundenburg bestattet. Sein Sohn Moriz (1854-1939) übernahm die Leitung der Ottakringer Brauerei, die bereits im Jahr 1890 erweitert und wo der Ausstoß auf über 168.000 Hektoliter Bier gesteigert wurde. Der Döblinger Betrieb wurde nach Jakob Kuffners Tod von dessen Sohn Wilhelm geführt.

Jakobs zweiter Sohn Karl leitete die Zuckerfabrik der Familie in Diószegh (Sládkovičovo). 1905 wandelten die Eigentümer, Moriz Kuffner und seine Großcousins Wilhelm Kuffner und Karl Kuffner de Diószegh, den Brauereibetrieb in die "Aktiengesellschaft Ignaz Kuffner & Jacob Kuffner für Brauerei, Spiritus- und Presshefefabrikation Ottakring-Döbling" um. Die soziale Tradition ihrer Väter führten die Kuffners weiter: So ermöglichten sie ein Arbeiterheim im neuen Gemeindebezirk und finanzierten den Bau der neuen "Kommunal-Kinderbewahranstalt" in Ottakring.

Moriz von Kuffners Interesse galt nicht nur der Brauerei, sondern auch der Philosophie, Nationalökonomie, Mathematik, Physik sowie französischer und englischer Literatur. Er war auch ein bekannter Kunstsammler und sehr erfolgreicher Alpinist. Doch sein größtes Hobby neben dem Bergsteigen war die Astronomie, die ihn als Absolvent der Technischen Hochschule faszinierte. Daher ließ er vom Architekten Franz von Neumann jun. an der späteren Johann-Staud-Straße eine Forschungs-Sternwarte errichten, die aufgrund der dort erbrachten Leistungen weltberühmt wurde. Bis heute ist sie ein Denkmal, das an ihn erinnert wie kein anderes, ist der Leiter des Bezirksmuseums überzeugt.

Moriz Kuffner inmitten der Freiwilligen Feuerwehr Ottakring.
© Bezirksmuseum Ottakring

Die darin untergebrachten Instrumente zur Sternenbeobachtung sind nach wie vor einzigartig und waren damals ihrer Zeit weit voraus. Die Warte gehört heute der Stadt Wien und wird von der Volksshochschule Wien und dem Förderverein Kuffner Sternwarte betrieben. Nur einen Steinwurf davon entfernt steht heute noch die frühere Direktorenvilla, die bis vor Jahren einer gemeinnützigen Wohnbaugenossenschaft gehörte. Unweit davon wiederum ist in einem Beserlpark die Katharinenruhe zu sehen, die nach Moriz Schwester Katharina (1862-1933) benannt ist. Errichtet im Jahr 1881, schützt sie seither Ausflügler und Wanderer auf den Gallitzinberg vor Regen und Wind.

Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten im Jahre 1938 verlor die jüdische Familie Kuffner ihren Betrieb, ihren privaten Besitz und ihre Heimat. Die Kuffner-Familie musste die Brauerei so rasch wie möglich verkaufen, um sie nicht völlig entschädigungslos zu verlieren. Die Verhandlungen mit der befreundeten Familie Harmer über die Übernahme der Brauerei sollen relativ freundschaftlich verlaufen sein, was für die NS-Zeit nicht selbstverständlich war. Gustav Harmer musste deshalb wegen "Tarnung jüdischen Vermögens" sogar für einige Tage ins Gefängnis. Auf 14 Millionen Schilling einigten sich die beiden Familien. Der Betrag musste jedoch auf ein Sperrkonto überwiesen werden, auf das die Familie Kuffner keinen Zugriff mehr hatte.

In Wien sollte nichts mehr an die Familie erinnern: Die Kuffnergasse wie auch die Katharinenruhe wurden von den Nationalsozialisten in Plankgasse und Liebhartsruhe umbenannt. Viele Verwandte, die nicht mehr fliehen konnten, kamen in den Vernichtungslagern ums Leben. Marianne Kuffner und Hedwig Lindenthal, zwei Miteigentümerinnen des Familienunternehmens, wurden in Auschwitz ermordet. Die Familie floh über die Tschechoslowakei in die Schweiz und danach in die USA.

Niemals vergessen

Als Entschädigungszahlung erhielt die Familie im Jahr 1949 über 7,5 Millionen Schilling und 161.000 Dollar, heißt es auf der Website der Ottakringer Brauerei. Die Österreichische Historikerkommission kam 2004 zum Ergebnis, dass der "Arisierungsfall Ottakringer" einer jener wenigen Fälle ist, in denen die gemeinsamen Interessen der Akteure gegenüber jenen des Staates überwogen.

Im Werksgelände der Ottakringer Brauerei erinnern seit 2018 zwei Stelen an die jüdischen MitarbeiterInnen.
© Christopher Erben

Die Nachfahren der Familie Kuffner sind die Mitglieder der Familie Eberstadt, die heute in New York leben. "Meine Familie wurde gezwungen, die Brauerei zu verkaufen", sagte Michael Eberstadt, Urenkel von Moriz von Kuffner, in einer sehr emotionalen Rede, die er am 19. Juni 2018 in der Ottakringer Brauerei anlässlich der Enthüllung von zwei Gedenktafeln hielt. Diese erinnern an die vielen jüdischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die von den Nationalsozialisten deportiert oder ermordet wurden. "Rückblickend ist es für mich sowohl traurig als auch erzürnend, wenn ich daran denke, dass ihnen alles genommen wurde, was sie sich so hart erarbeitet hatten, und dass ihr Land sie verraten hat."

Für Michael Eberstadt liegt hinsichtlich der Familiengeschichte und Vermögensentziehung noch vieles im Dunkeln. Er will daher weiter daran forschen. "Niemand kann die Vergangenheit ändern. Alles, was wir tun können, ist zu versuchen, das Geschehene vollständig zu verstehen."

Bereits 2017 wurde in der Kuffner Sternwarte eine Gedenktafel enthüllt, die an ihren Gründer Moriz von Kuffner erinnert. Die Erinnerung an die Kuffners soll auch an anderen Orten des Bezirks erfolgen, meint Bezirksvorsteher Franz Prokop. "Die Ottakringer Festwochen im Juni 2022 sind eine gute Möglichkeit, um das Wirken der Familie Kuffner an ein breites Publikum heranzutragen." Geplant ist etwa eine Umgestaltung der Kuffnergasse sowie des angrenzenden Areals, das zur Ottakringer Brauerei gehört. Wann es jedoch so weit sein wird, steht noch in den Sternen.

Christopher Erben lebt als Sprachtrainer, Erwachsenenbildner und freier Journalist in Wien.