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Wahlordnungen gelten zu Unrecht als trockene Angelegenheit.
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Am Wahlrecht zu drehen, um die eigenen Wahlchancen zu optimieren, entspricht eher nicht der demokratiepolitisch feinen Klinge. Dafür spricht die eindrucksvolle Effizienz dieser Methode.
Also nutzen die Parteien - feine Klinge hin, Chancengleichheit her - den Spielraum, den sie sich via Bundesverfassung selbst eingeräumt haben. Und der ist größer, als man annehmen würde. Denn allgemein, gleich, unmittelbar, persönlich, geheim, frei und repräsentativ, wie Artikel 26 des Bundes-Verfassungsgesetzes festhält, ist ein Wahlrecht schnell einmal. Darüber hinaus bleibt ausreichend Raum für die eine oder andere Besonderheit unter besonderer Berücksichtigung der machtpolitischen Interessen der jeweiligen Mehrheitspartei. Beruhigend dabei ist, dass weltanschauliche Überzeugungen dabei keine Rolle spielen: Wer kann, der macht - egal, ob links oder rechts.
Die Besonderheiten des Wiener Wahlrechts sind ohnehin in aller Munde. Im Kern sträubt sich die SPÖ dagegen, dass sie - unter besonders günstigen Umständen - nicht mehr schon mit 44 Prozent der Stimmen die absolute Mandatsmehrheit bekommen soll. Menschen mit einem Faible für Ironie könnten jetzt darauf hinweisen, dass dieses Wahlrecht fast deckungsgleich war mit jenem auf Bundesebene bis 1971. Über dieses beschwerte sich die SPÖ jahrzehntelang, da es der ÖVP einen noch größeren Vorteil einräumte. Die SPÖ opferte den eigenen relativen Vorteil zugunsten der absolut diskriminierten FPÖ aus Dank für die Tolerierung einer roten Minderheitsregierung.
Burgenland und Niederösterreich teilen beide das Los der Peripherie. Entsprechend großzügig handhaben sie die Bindung des Wahlrechts mit einem aufrechten Wohnsitz. Wer hier wählen will, muss lediglich über einen ordentlichen Wohnsitz in dem Land verfügen, ob Hauptwohnsitz oder Wochenendheim ist dabei einerlei. Die Hypothese, die hinter dieser Regelung steht, lautet: Auch Landesbürger, die teilweise in der großen Stadt leben, stützen tendenziell eher die gewachsenen politischen Mehrheitsverhältnisse zu Hause. Also lasst sie wählen! Die Häufungen von politisch opportunen Nebenwohnsitzen werden mit landestypischer Gelassenheit in Kauf genommen.
Wenig überraschend kalkuliert Wien ganz genauso, nur andersrum. Wählen darf nur, wer über einen Hauptwohnsitz verfügt.
Ein niederösterreichisches Gustostückerl ist das zeitlos schöne Prinzip "Name vor Partei". Die novellierte Landtagswahlordnung trat 2001 in Kraft, die dazu führt, dass, wer eine Vorzugsstimme vergibt - sagen wir beispielsweise an Erwin Pröll -, automatisch die ÖVP wählt, auch wenn er SPÖ, FPÖ oder Grüne angekreuzt haben sollte. In Wien ist es umgekehrt, und das, obwohl sich beide Länder machttechnisch nicht groß unterscheiden. Nur wählen sie unterschiedliche Wege zum Ziel der absoluten Mehrheit.
Niederösterreich fährt seit 2001 eine konsequente Personalisierungsstrategie zur höheren Ehre des Landeshauptmanns. Die Wiener SPÖ hat sich für die Vorrangstellung der Partei entschieden. Das könnte sich spätestens nach der Ära Michael Häupl als riskant erweisen. Die Bindekraft der Parteien ist auf dem Rückzug. Auch in Wien.