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Die Kunst des Augenblicks

Von Anton Holzer

Reflexionen

Lothar Rübelt war der bekannteste österreichische Fotojournalist des 20. Jahrhunderts. Wer sich mit seinem Schaffen befasst, begegnet einem großen, aber politisch fragwürdigen Fotografen.


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"Das Telephon schrillt. Eine kurze Meldung jagt durch den Draht. Apparat und Platten, stets griffbereit, werden gefaßt, hinunter aufs Motorrad und davon. Von weitem schon zeigt eine dichte Menschenmenge den Tatort an. Das Rad dient als Tribüne. Ein Blick für die Lichtverhältnisse, einige sichere Griffe an der Kamera, der Verschluß schnurrt, die erste Aufnahme ist erledigt. Rasch noch einige wesentliche Einzelheiten, wobei das Platzschaffen das Problem ist (hier hilft nur taktvolle Unverfrorenheit), dann geht es in fliegender Eile zurück in die Dunkelkammer, wo der Abgesandte der Klischeeanstalt schon auf die nasse Kopie wartet."

Der rasende Reporter

Als der Wiener Fotojournalist Lothar Rübelt 1929 diese Zeilen schrieb, musste er sich nicht lange nach Vorbildern umsehen. Er inszeniert sich selbst als Paradebeispiel des rasenden Fotoreporters. Es war ein Image, das er jahrzehntelang kultivierte. 1948 wurde er in einem Zeitungsbeitrag ausdrücklich als der "rasende Photoreporter" bezeichnet.

Lothar Rübelt war ein hervorragender Fotograf und ein talentierter Vermarkter seiner Bilder. Er war aber auch, das zeigt unser Beispiel, ein überaus findiger Öffentlichkeitsarbeiter in eigener Sache. So ist es nicht verwunderlich, dass er bereits Ende der 1920er Jahre zum ersten Starreporter Österreichs avancierte. Ein halbes Jahrhundert lang, von den frühen 1920er bis in die 1960er Jahre, dominierte Rübelt die fotojournalistische Szene im Land.

Seine Karriere hat er kurz nach dem Ersten Weltkrieg als Sportfotograf begonnen, um 1930 wurde er zum Allrounder, der alles fotografierte, was sich verkaufen ließ. Seine Erfolge in der Ersten Republik setzte er im Ständestaat und schließlich im Nationalsozialismus fort. Er huldigte Hitler und seiner Politik - und profitierte als Fotograf von der NS-Diktatur.

Nach 1945 setzte er seine Karriere unbeirrt und ohne Unterbrechungen fort - als international anerkannter Sportreporter, aber auch als gefragter Begleiter österreichischer Nachkriegspolitiker. Wenn man einen Fotografen nennen müsste, der wie kein anderer das fotografische Bild Österreichs im 20. Jahrhundert geprägt hat, es wäre Lothar Rübelt. Er, der eigentlich die deutsche Staatsbürgerschaft besaß - seine Mutter stammte aus dem Elsaß -, wurde zum österreichischen Bildchronisten eines halben Jahrhunderts.

Schnell und flexibel

Rübelt ist eine widersprüchliche Figur: als Fotograf war er überaus begabt, technische und ästhetische Neuerungen hat er rasch aufgenommen. In seinen politischen Haltungen war er flexibel bis opportunistisch. Seiner Karriere hat diese Biegsamkeit nicht geschadet, im Gegenteil.

Wer war dieser Lothar Rübelt? Geboren 1901 in Wien, begann er bereits als Jugendlicher während des Ersten Weltkriegs zu fotografieren. Nach Kriegsende trieb sich der begeisterte Leichtathlet auf den Wiener Sport- und Fußballplätzen herum; die Kamera hatte er stets dabei. Bald nach dem Krieg schickte er erste Sportfotos an die Zeitungen, die diese prompt druckten. 1919 begann er an der Technischen Hochschule Maschinenbau und Elektrotechnik zu studieren. Er schloss sein Studium freilich nicht ab, sondern wurde zum professionellen Fotojournalisten.

Die Konjunktur für einen angehenden Sportfotografen war in den 1920er Jahren günstig. Fußball war in der Zwischenkriegszeit der beliebteste Publikumssport in Österreich. Die Sportberichterstattung wurde ausgebaut, neue Zeitungen schossen aus dem Boden, immer öfter brachten die illustrierten Wochenzeitungen Fotografien von Sportereignissen.

Einige Jahre arbeitete Rübelt eng mit seinem um ein Jahr jüngeren Bruder Ekkehard zusammen, der ebenfalls fotografierte. Gemeinsam bauten sie eine eigene Fotoagentur auf. Ein gemeinsamer Film über eine Motorradreise in die Dolomiten entstand 1926. Im selben Jahr verunglückte Ekkehard Rübelt tödlich. Lothar Rübelt arbeitete nun allein weiter. Er fotografierte schon längst nicht mehr nur Leichtathletik, sondern alles, was sich an die Presse verkaufen ließ. Er dokumentierte Boxkämpfe ebenso wie Ski-, Wasser- und Autosportereignisse, er fotografierte Eislauf- und Tenniswettbewerbe - und natürlich Fußballspiele.

Dynamische Ästhetik

Praktisch jedes Wochenende war Rübelt unterwegs. Schon früh erkannte er, dass Geschwindigkeit im Vertrieb alles ist. 1924 hatte er sich zusammen mit seinem Bruder ein Motorrad angeschafft, um die Abzüge rascher in die Redaktionen bringen zu können. In seinen Bildern setzte er auf eine neue, dynamische Ästhetik. Er suchte mit seiner Kamera nicht den distanzierten Überblick, nie nahm er beim Fußball das Spielfeld als Ganzes in den Blick. Vielmehr rückte er nahe an die Szenen und die Spieler heran. Er hielt bewegte Szenen fest: Zweikämpfe, Torschüsse, Tore. Gelegentlich positionierte er seinen Apparat unmittelbar auf der Torlinie, um die Augenblicke vor dem Tor, die Momente zwischen Sieg und Niederlage, in dramatischen Ausschnitten festzuhalten.

Früher als andere Fotografen setzte Rübelt auf kleine handliche Apparate. Schon Anfang der 1920er Jahre, als die anderen Pressefotografen noch mit schwerem Gerät und Stativ unterwegs waren, fotografierte er mit einer kleinen 9 x 12 cm Klappkamera. Ab Mitte der 1920er Jahre arbeitete er mit der kleinformatigen, aber lichtstarken Ermanox der Dresdner Firma Ernemann. 1929 ergänzte er diese um die Leica. Der Rollfilm mit 36 Negativen im Kleinbildformat ermöglichte es ihm nun, mehrere Bilder unmittelbar hintereinander zu belichten, ohne umständlich die Platten wechseln zu müssen. Nun entstanden immer öfter Bildserien.

"Das Jahr 1929", erinnerte sich Rübelt später, "war in verschiedener Hinsicht ein Markstein in meiner Laufbahn. Im Anfang war die Begegnung mit der Leica (Kleinbildkamera), die entscheidend war für die Freizügigkeit der Bildberichterstattung, die sich vom Einzelbild zur Serie entwickelt hatte. Im Dezember kam dann der erste Auftrag einer Illustrierten, noch dazu im Ausland."

Der Anlass war ein aufsehenerregender Prozess, der am 13. und 14. Dezember 1929 im ungarischen Szolnok stattfand. Angeklagt waren mehrere Frauen. Ihnen wurde zur Last gelegt, über 50 Menschen vergiftet zu haben. Der internationale Medienandrang war enorm. "Bei der Schwere der Verbrechen", erinnerte sich Rübelt "war mit Todesurteilen zu rechnen, und so wollte ich die Wirkung auf die betroffenen Bäuerinnen im Augenblick der Verkündigung festhalten. Da ich kein Wort Ungarisch verstand, bat ich einen Deutsch sprechenden Journalisten, bei den Worten zum Tode mit dem Bleistift auf das Pult zu klopfen. Das funktionierte bestens - aber die Wirkung war null! Die harten Gesichter der Bäuerinnen unter ihren Kopftüchern blieben unbewegt - es gab keinen richtigen Augenblick. So blieb mir nur übrig, mit meinen beiden Kameras, jeweils auf dem Tisch abgestützt, die Anklagebank von verschiedenen Seiten, Zeugen, Richter und Staatsanwalt sowie den Verteidiger samt Publikum zu verewigen, wie vorher den Rundgang der Verbrecherinnen im Gefängnis festzuhalten."

Eine Woche später erschienen die Bilder in der österreichischen Presse, zusammengestellt als Bilderzählung, die auf der Titelseite begann. Es war die erste Fotoreportage Lothar Rübelts, und zugleich der erste große Bildbericht, der nichts mit Sport zu tun hatte. Nun war eine neue berufliche Tür aufgestoßen. Rübelt fotografierte nun alles, was in den Redaktionen gebraucht wurde. Neben Sportberichten, die immer noch dominierten, lieferte er nun auch einfühlsame Reportagen aus dem Alltag, poetische Schnappschüsse, Reisebilder (etwa 1932 aus Schottland, und 1935 aus Norwegen) und vieles mehr.

Ende der 1920er Jahre erweiterte Rübelt seinen kommerziellen Radius und knüpfte Kontakte zur auflagenstarken deutschen Presse. 1928 arbeitete er erstmals mit der großen Berliner Fotoagentur Scherl zusammen, für die er Sportbilder von der Winterolympiade in St. Moritz lieferte. Ab 1930 war er auch in der marktbeherrschenden Ullstein-Presse präsent, in der das Flaggschiff des deutschen Fotojournalismus, die "Berliner Illustrirte Zeitung", erschien. Die Einnahmen sprudelten nun, 1935 schaffte sich Rübelt ein Auto an - für die allermeisten Pressefotografen dieser Jahre ein unerschwinglicher Luxus.

Erfolge in der NS-Zeit

Als 1933 die Nationalsozialisten in Deutschland an die Macht kamen, bedeutete das für Rübelt keinerlei Karriereknick, im Gegenteil. Bereits Ende 1933 hatte er sich mit seinen Sportbildern der illustrierten NS-Presse angedient. Ende 1934 stellte er einen Antrag um Aufnahme in den "Reichsausschuss der Bildberichterstatter im Reichsverband der Deutschen Presse". 1936 wurde er als einziger aus Österreich stammender Fotograf eingeladen, bei den Olympischen Spielen in Berlin zu fotografieren. Er stand am Höhepunkt seines Erfolges.

Als Hitlers Truppen im März 1938 in Wien einmarschierten, jubelte Rübelt - und sah sofort neue berufliche Chancen heraufdämmern. Er suchte (vergebens) um Aufnahme in die NSDAP an. Den neuen Machthabern stellte er sich mit antisemitischen Bekenntnissen vor. In einem offiziellen Schreiben an die Vermögensverkehrsstelle, die für die Verwertung des "arisierten" Besitzes zuständig war, schrieb er im Dezember 1939: "Ich habe als Reichsdeutscher in Wien lebend mit Erfolg den Einfluss von Juden in meinem Arbeitsgebiet zurückgedrängt. Vor der Verbotszeit war ich fast der alleinige Fotograf der Parteipresse und auch während der Verbotszeit ist es mir durch die Möglichkeit des ungehinderten Grenzübertritts gelungen, der Bewegung wertvolle Dienste zu leisten."

Rübelt vernetzte sich 1938 rasch mit den neuen Machthabern und der nationalsozialistischen Medienelite. Als Hitler Anfang April 1938 auf einer Propagandareise für den "Anschluss" in Österreich unterwegs war, erhielt nicht zufällig Rübelt den Auftrag, den "Führer" bei seinem großen Grazer Auftritt zu fotografieren. Auch der Text zu dieser Reportage stammt aus seiner Feder. Darin lässt Rübelt seiner Begeisterung freien Lauf. "Vor der festlich geschmückten Grazer Bahnhofsallee empfing ein Orkan der Freude den Retter Österreichs, als der Führer Grazer Boden betrat. Der Führer grüßte mit erhobener Hand, im Wagen stehend, und eine überschäumende Begeisterung erfaßte die Menschen, die ihren Führer, der aus ihrer Heimat stammt, zum erstenmal sahen."

Ein Jahr später hatte der Zweite Weltkrieg begonnen. Rübelt wurde nun Mitglied einer Propagandakompanie (PK) der Deutschen Wehrmacht, er war als Bildberichter (so wurden Fotojournalisten nun genannt) im Krieg gegen Polen und am Balkan unterwegs.

1942 kehrte er nach Wien zurück und arbeitete bis Kriegsende als Fotograf und Filmer in einem Speziallazarett der Wehrmacht in Wien. Er fand auch Zeit, Sportereignisse zu dokumentieren.

Rübelt war Mitte 40, als der Zweite Weltkrieg zu Ende war. Für ihn war das Jahr 1945 keine Stunde Null, denn er arbeitete bruchlos weiter. Er fotografierte bei den Olympischen Spielen in Helsinki und Oslo 1952, in Cortina 1956, in Squaw Valley 1960 und in Innsbruck 1964. Wie schon vor dem Krieg belieferte er die in- und ausländischen Illustrierten mit ausdrucksstarken Sportbildern. Daneben arbeitete er für die österreichische Fremdenverkehrswerbung. Ganz hielt er sich nach 1945 von der Politik freilich nicht fern. In den 1950er Jahren begleitete er den österreichischen Kanzler Julius Raab auf dessen Staatsbesuchen in die USA, nach Rom und Moskau. 1959 wurde Rübelt das Goldene Verdienstzeichen der Republik Österreich verliehen. Ab Mitte der 1960er Jahre zog er sich aus dem Berufsleben zurück.

Der große Nachlass

Um 1980 erschienen erste Buchpublikationen über den Fotografen Lothar Rübelt, 1985 folgte eine kleine Ausstellung in der Albertina. Rübelt starb am 4. August 1990 in Klagenfurt. Heute wird sein fotografischer Nachlass im Bildarchiv der Österreichischen Nationalbibliothek aufbewahrt. Rund 52.000 Aufnahmen umfasst allein das Negativarchiv des Fotografen.

Es ist erstaunlich, dass dieses für Österreich so wichtige fotografische Werk bisher noch nie in einer großen Ausstellung gezeigt und in einem umfassenden Katalog vorgestellt wurde. Ein solches Projekt, das die fotografischen Glanzstücke Rübelts ebenso präsentiert wie die zahlreichen Widersprüche in seiner politischen und fotografischen Karriere, wäre ein spannendes Unternehmen.

Anton Holzer, geboren 1964, Fotohistoriker, Publizist und Herausgeber der Zeitschrift "Fotogeschichte", lebt in Wien. 2014 erschien im Primus Verlag (Darmstadt) sein Buch: "Rasende Reporter. Eine Kulturgeschichte des Fotojournalismus". www.anton-holzer.at