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Die Kunst, es niemandem recht zu machen

Von Cornelia Travnicek

Gastkommentare
Cornelia Travnicek ist Schriftstellerin und lebt in Wien; zuletzt erschien ihr Roman "Chucks" bei DVA. Diesen und weitere Texte finden Sie im Internet auf www.denkt.at.

Wir bestimmen als Wähler nur so weit demokratisch mit, wie man es uns zugesteht, nicht wie wir es fordern.


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Sie sind unglücklich mit den Entscheidungen ihrer Regierung und denken vielleicht sogar, dass sich nichts ändert, egal, ob Sie ihr Kreuz auf dem Stimmzettel machen oder nicht? Das ist nur natürlich, denn Sie leben in einer semipräsidialen parlamentarischen Republik mit Verhältniswahl und zeitweiliger Kanzlerdominanz - je nach Kanzler.

Wir, in einer westlichen Demokratie, nehmen unsere demokratischen Rechte und die daraus folgende Erfüllung unserer Wünsche als naturgegeben an (gottgegeben war die Macht schon den Monarchen). Und wir denken, mit unserer Stimmabgabe würden wir die Weichen für Entscheidungen stellen, die uns gefallen, und wundern uns bei jeder Wahl aufs Neue, dass genau das nicht passiert. Stünde in der Zeitung "Beinahe jeder Zweite mit aktueller Regierung unzufrieden", so fänden wir das auf den ersten Blick bedenklich, um auf den zweiten oder dritten zu realisieren, dass das immer noch äußerst demokratisch ist.

Man gewöhnt sich also daran. Man beruhigt die aufkeimenden Zweifel mit dem Gedanken, unsere Demokratie wäre eben so designt, dass nicht bei jedem kleinen Momentum ein großer Umbruch stattfindet. Man denkt sich, unsere Demokratie sichere die gesellschaftliche Stabilität und hinterlasse darum bei uns den Eindruck, es bewege sich nichts. In einer Demokratie ist jede Entscheidung ein Kompromiss, und das impliziert eben, dass niemand ganz glücklich ist, zumindest im ersten Moment. Man beschließt für sich: Diese Staatsform ist etwas für Hartnäckige, für Dranbleiber, für Visionäre mit Langzeitplanung - wenn sie nicht auf dem Weg irgendwo ihren Elan, ihre Integrität oder gar ihre Visionen verlieren.

Unsere derzeitige Demokratieform übt sich mehrheitlich in der Kunst, es niemandem recht zu machen und nebenbei Grundlagendiskussionen aufgrund jahrzehntealter idealistischer Einstellungen zu führen, die der Realität unserer Gesellschaft nicht mehr entsprechen. Wir sollen trotzdem nur nicht das Interesse verlieren, denn es wäre unser Recht, nein, unsere Pflicht, alle vier Jahre diesen Tanz abzunicken. Die Wahrheit allerdings ist, dass wir eben nur so weit demokratisch mitbestimmen, wie man es uns zugesteht, nicht wie wir es fordern - das ist zu wenig.

Bei der Nationalratswahl etwa wählt man Parteien, die untereinander Koalitionen festlegen, auf deren Zustandekommen die Wähler keinen Einfluss mehr haben. Sie verteilen Ministerienposten, wie es ihnen passt, und nicht selten kann man bei der neuen Besetzung den Eindruck bekommen, es wäre verhandelt worden wie auf einem Basar.

Es muss ja nicht gleich eine Basisdemokratie sein, denn einmal ehrlich: Entscheidet die Mehrheit anders als wir, werfen wir den Angehörigen dieser Mehrheit gerne vor, sich bei der Entscheidungsfindung allerhöchstens des Billa-Hausverstandes bedient zu haben. Es ist auch einfacher, mit ihnen zusammenzuleben, solange wir die Schuld nach oben abschieben können. Aber warum dürfen wir einer Partei nicht sagen: "Ja, aber keinesfalls in Koalition mit XY!" Und wieso braucht es zur Vergabe der Ministerposten nicht unser Einverständnis? Warum wagen wir nicht einen Versuch?