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Die kurze Rede zum langen Abschied

Von WZ-Korrespondentin Simone Brunner

Politik

Der ukrainische Premier Jazenjuk ist zurückgetreten. Folgen soll ihm mit Wolodymyr Hrojsman ein Vertrauter von Präsident | Poroschenko. Kritiker sprechen von einem Oligarchen-Deal im Hintergrund.


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Kiew. Für seine Rücktrittserklärung hat sich Arseni Jazenjuk eine besondere Kulisse ausgesucht. Der Abend färbt die Skyline von Kiew in ein feierliches Rot, über dem Unabhängigkeitsplatz weht die ukrainische Fahne im Wind. Die goldenen Kuppeln des St. Michaelsklosters glänzen im Abendrot. Hier, auf dem Maidan, schlug vor mehr als zwei Jahren Jazenjuks große Stunde. Als einer der "Revolutionsführer" des Maidan und später als Premier führte er die Ukraine in eine neue politische Ära.

Auch heute schwingt sich Jazenjuk zu pathetischen Formeln auf. "Die wahre Macht einer Person liegt in seinem Spirit und seinem Charakter", spricht Jazenjuk aufrecht und mit fester Stimme in die Kamera. "Ich halte das Bekenntnis zu den nationalen Prinzipien und Entschlossenheit für das Wesen eines wahren nationalen Führers. Deswegen habe ich die Entscheidung getroffen, als Premierminister der Ukraine zurückzutreten." Wenn Jazenjuk es schon nicht geschafft hat, in seiner Amtszeit die Ideale der "Revolution der Würde", wie der Maidan von Anhängern genannt wird, umzusetzen, so hat er doch eines geschafft: einen Abgang in Würde. In 6 Minuten und 24 Sekunden. Mit seiner Videoansprache am Sonntag zieht Jazenjuk einen vorläufigen Schlussstrich unter die Regierungskrise, die er selbst mitverursacht hat: Seit fast zwei Monaten wird in Kiew um eine neue Regierung gerungen. Obwohl ein Misstrauensantrag am 16. Februar gegen den amtierenden Premier scheiterte, wurde seither um eine neue Regierung sowie um Einfluss und Posten verhandelt. Voraussetzung für eine Kabinettsumbildung war nach ukrainischer Jurisdiktion freilich der freiwillige Rücktritt des Premiers. Heute, Dienstag, wird im Parlament darüber abgestimmt. Dabei wird möglicherweise auch ein neuer Premier gewählt. Favorit ist der bisherige Parlamentspräsident Wolodymyr Hrojsman des "Block Petro Poroschenko" (BPP). Der "Kamikaze-Ministerpräsident", wie Jazenjuk seine Funktion selbst nannte, hinterlässt indes keine besonders gute Bilanz - auch, wenn er das in seinen Reden zuletzt immer wieder anders dargestellt hat. Doch Worte allein reichen nicht mehr. Der Kampf gegen die Korruption und für eine unabhängige Justiz ist unter Jazenjuk nicht wirklich vom Fleck gekommen. Die Wirtschaft steckt in der Krise, zuletzt sind auch die Kämpfe in der Ostukraine wieder eskaliert. Dass sich Jazenjuk fast zwei Monate Zeit ließ, um den Hut zu nehmen und somit Kiew in eine wochenlange politische Lähmung stürzte, hat nicht nur unter seinen Gegnern für böses Blut gesorgt. Andererseits ist Jazenjuk einer der ganz wenigen ukrainischen Premiers, die freiwillig den Hut nehmen.

Ein Fragezeichen steht derweil noch hinter der neuen Koalition. Nachdem zuletzt sowohl die Partei "Selbsthilfe" sowie die "Vaterlandspartei" der ehemaligen Ministerpräsidentin Julia Timoschenko als auch die "Radikale Partei" des Populisten Oleh Ljaschko aus der Koalition ausgeschert sind, wird mit einer Zweierkoalition aus BPP und Jazenjuks "Volksfront" gerechnet. Zusammen kommen die beiden Fraktionen allerdings nur auf 222 Stimmen, für die nötige Mehrheit von 226 Stimmen sollen wilde Abgeordnete gewonnen werden.

Wie tragfähig eine derart knappe Mehrheit sein wird, ist derweil fraglich. Die Crux: Die Ukraine braucht dringend eine neue Regierung, um die nächste 1,7-Milliarden-US-Dollar-Tranche des IWF-Hilfsprogramms abrufen zu können. So hängt über Kiew immer noch das Damoklesschwert von Neuwahlen, die keiner will. Sollte diese Woche kein neuer Premier im Parlament bestätigt werden, wird Präsident Petro Poroschenko Neuwahlen ausrufen, so ein Vertreter des Präsidenten am Montag. Daran wird aber auch Poroschenko selbst wenig gelegen sein: Der Oligarch tauchte zuletzt mit einem Offshore-Unternehmen in den Panama Papers auf und kam innenpolitisch unter Druck. Der heutige Tag, Dienstag, soll mehr Klarheit schaffen.

Polit-Wunderkind mitDraht zu Poroschenko

Sollte Hrojsman heute im Parlament bestätigt werden, kann der Präsident seine Kontrolle über das Parlament ausbauen. Wie Poroschenko, so stammt auch Hrojsman aus der zentralukrainischen Stadt Winnyzja. Hrojsman gilt als Wunderkind der ukrainischen Politik: Glaubt man der offiziellen Vita, dann leitete Hrojsman bereits im zarten Alter von 16 Jahren bereits ein Unternehmen seines Vaters. Mit 24 Jahren wurde er der jüngste Abgeordnete im Stadtrat von Winnyzja. Seine politischen Sporen hat sich Hrojsman dann als jüngster ukrainischer Bürgermeister - eben in Winnizja - verdient. Nach dem Maidan wechselte er als Parlamentssprecher nach Kiew. Mehr Macht, aber auch mehr Verantwortung: Der Reformstau könnte somit künftig direkt dem Poroschenko-Lager zugerechnet werden. Und der Druck, endlich Reformen durchzusetzen, ist so groß wie noch nie: sowohl von Seiten der ukrainischen Bevölkerung als auch von den europäischen und amerikanischen Partnern. An der Macht, wenngleich nicht mehr so im Rampenlicht, bleibt aber auch Jazenjuks "Volksfront". Berichten zufolge soll Jazenjuk zumindest fünf Ministerposten für seine Partei herausgeschlagen haben, darunter die Schlüsselressorts Inneres und Justiz. Keine schlechte Bilanz für eine Partei, die in Umfragen zuletzt von 22 Prozent auf zwei Prozent abgestürzt ist und bei Neuwahlen wohl kaum ins Parlament einziehen würde. Zudem soll Andrij Parubij von der "Volksfront" vom ersten stellvertretenden Parlamentssprecher zum Sprecher des Parlaments aufrücken.

Jazenjuks Rücktritt ist freilich "keine Sensation", wie der Politologe Wladimir Fesenko in einem Kommentar schreibt. Hrojsman sei zudem die rechnerisch derzeit einzig mögliche Kompromissfigur zwischen den Fraktionen. Von "kosmetischen Änderungen" spricht Balasz Jarabik vom Carnegie Endowment for International Peace. "Die neue Koalition wird sehr zerbrechlich sein, könnte aber trotzdem wichtige Reformen anstoßen", so Jarabik weiter. "Diesen Reformen sind aber weiterhin Grenzen gesetzt, weil Jazenjuk und seine Partei ja nicht verschwinden, sondern Teil der regierenden Koalition bleiben werden."

Absprache zwischenAchmetow und Kolomojski?

Kein gutes Haar an den jüngsten Verhandlungen lässt indes Serhij Leschtschenko, Abgeordneter der Präsidentenpartei und ehemaliger Investigativ-Journalist: Der Abgang Jazenjuks sei nichts weniger als eine Absprache zwischen den beiden mächtigen ukrainischen Oligarchen Ihor Kolomojskij und Rinat Achmetow. "Sie haben den unblutigen Abgang Jazenjuks ermöglicht und werden den nötigen ‚Polster‘ garantieren, wenn die Stimmen nicht reichen sollten", so Leschtschenko in einem TV-Interview. So hätten sich Kolomojskij und Achmetow mit den Fraktionen auf einen für die Oligarchen günstigen Deal im Banken- und Energiesektor geeinigt. Viele Abgeordnete im ukrainischen Parlament werden nach wie vor von Oligarchen kontrolliert - wenngleich sie keine Mehrheit mehr haben wie vor dem Maidan, betonen Politologen.

Über alledem dürfe man aber gerade einen Politiker nicht abschreiben, glauben viele Beobachter: Jazenjuk ist mit seinen 41 Jahren bereits ein Methusalem der ukrainischen Politik, dem es nach dem Maidan gelungen ist, sich aus der Partei der machthungrigen Ex-Premierministerin Julia Timoscheno zu lösen. So klang auch seine Fernsehansprache weniger nach Resignation als vielmehr nach einem verbalen Wettrüsten für die nächste Wahl: "Beliebtheitswerte sind ein temporäres Phänomen", räsonierte Jazenjuk staatsmännisch im Video. So sei die politische Krise "künstlich" hervorgerufen worden. "Die internationale Unterstützung für die Ukraine, und eine Mitgliedschaft der Ukraine in der Europäischen Union und der Nato: Das ist nur ein Teil meines Programms."