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Das Kultobjekt Österreich-Faschismus hat eine neue Entwicklungsstufe erreicht. Nicht einmal die, die gemeint sind, regen sich über pauschale Verdächtigungen auf.
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Eigentlich müsste die Festspielpräsidentin Helga Rabl-Stadler wegen Veranstaltung schichtenspezifischer Tölpeltheater in ein Umerziehungslager gesteckt werden. Der künftige Intendant Alexander Pereira sollte Salzburg fernbleiben, und für die Sänger, Sängerinnen und Orchestermitglieder gäbe es einen sinnvollen zweiten Bildungsweg als Straßenmusikanten.
So ähnlich muss gemeint sein, was die österreichische Schriftstellerin Marlene Streeruwitz dieser Tage vorgebracht hat: Die Salzburger Festspiele seien ein leider auch von sozialdemokratischen Würdenträgern akklamiertes Hofzeremoniell.
Man kann ja über manches diskutieren, was sie im Interview mit dem "Deutschlandradio Kultur" äußerte, beispielsweise auch über die Befindlichkeit von Sponsoren des Autokonzerns Audi, dessen Mitarbeiter gleichzeitig zur Kurzarbeit gezwungen werden. Aber am Ende fügte sie ihrem Sermon das Musswort hinzu, das - so würde man es in der Konsum- und Wirtschaftswelt formulieren - wie eine Killerapplikation wirkt: "faschistoid"; die Selbstdarstellung von Schichten habe etwas Faschistoides.
Wenn Kulturkritik so gestrickt wird, hört mittlerweile jeder weg. Selbst in Deutschland, wo man ein faschistoides Österreich - oder wenigstens eines, das mit nichts und schon gar nicht mit dem Faschismus fertig geworden sei - mitunter recht gern leiden sieht, reagierten die Zeitungen einschließlich der "Frankfurter Rundschau" bloß mit müden Kurzmeldungen. In Österreich veranstaltete nicht einmal der ORF eine groß angelegte Gewissensprüfung. Offenbar ist mit dem aus der Requisitenkammer geholten Werkzeug für pauschale Verdächtigungen am österreichischen Wesen nichts mehr reparierbar.
Die Zeiten ändern sich. 1988 hatte Bundespräsident Kurt Waldheim Thomas Bernhards "Heldenplatz" noch mit den Worten bedacht: "Ich halte dieses Stück für eine grobe Beleidigung des österreichischen Volkes und lehne es daher ab." Solche Fleißaufgaben von Spitzenpolitikern sind heute kaum noch denkbar, doch bringt das denen, die in der Hofburg die Republik hüten, auch keine Lebensqualität, jedenfalls nicht an der Literaturfront. Denn Streeruwitz verpasste dem heutigen Bundespräsidenten, aufgemöbelt durch Zwischenbemerkungen des willfährigen Moderators des Deutschlandradios ("Klingt so ein bisschen nach k.u.k."), was er ihrer Meinung nach verdient: Der Bundespräsident sei der "Übervater in der Hofburg, der alle zu Kindern macht, die abhängig sind von ihm". Und so wurln die zu wenig kritischen Sozialdemokraten, die Festspielsponsoren und der Übervater in der Hofburg gemeinsam dort, wo auch die Nationalsozialisten und Austrofaschisten fröhliche Urständ feiern.
Kein Zweifel, dass eine lebendige Gesellschaft den ätzenden Charme der Künstler und Schriftsteller nötig hat, doch hat manches von deren aufmunternden Giften das Ablaufdatum überschritten. Bei Joghurt kommt so etwas auch vor. "Ich glaube, die österreichische Öffentlichkeit hat irgendwie aufgegeben, sich wirklich damit zu beschäftigen", sieht Streeruwitz ein. "Die kritischen Stimmen winken ab und sagen, es ist einfach zu langweilig und man will sich damit nicht beschäftigen, was ich gut verstehe."
Wer den natürlichen Hang der Österreicher zur selbstkritiklosen Pflege des Wohlgefühls kennt, müsste jetzt tatsächlich beunruhigt sein. Aber vielleicht ist es nur im Fall Streeruwitz so, dass niemand mehr leidet, wenn sie nach Schmerzzentren tastet.