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Der Provokateur und Hardliner Dan Schueftan über die Zukunft des Nahen Ostens, die Abschottung Israels und die Tugend der Schwarz-Weiß-Malerei.
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"Wiener Zeitung": Bürgerkrieg im Irak und in Syrien, Arabellion: Wie schätzen Sie die Lage im Nahen Osten ein?Dan Schueftan: Hoffnungslos. Die Situation ist nicht nur übel, sie wird immer schlimmer. Vielleicht ist die Lage in Tunesien oder in einigen Ländern des Golfs nicht so verzweifelt, aber ansonsten ist die Region im Chaos. Jene, die sie verlassen, tun das nicht, um woanders Unterschlupf zu finden, sondern weil sie wissen, dass es dort keine Zukunft gibt - weder für sie selbst noch für ihre Kinder und Kindeskinder. Da sehe ich kaum einen Unterschied zwischen großen Ländern und kleinen, Ländern mit Öl oder ohne, Ländern mit sunnitischer Mehrheit oder schiitischer, Ländern mit Kolonialvergangenheit und ohne - alle sind in einem katastrophalen Zustand. Was sie gemeinsam haben, ist tribalistische arabische Polit-Kultur.
Zu sagen, alles sei eine Frage der politischen Kultur, Kolonialismus sowie israelische und US-Invasionen hätten keinen negativen Einfluss gehabt - ist das nicht geschichtsignorant?
Ich gestehe: Ich bin extrem politisch inkorrekt. Aber zu meiner Verteidigung sage ich, dass man nicht intelligent und politisch korrekt zur selben Zeit sein kann.
Doch. Das geht, glauben Sie mir.
Wenn Sie meinen, bitte. Ich bleibe aber dabei: Kultur ist der Schlüssel. Was extrem reiche Länder - wie etwa den Irak oder Libyen - extrem arm macht, ist ausschließlich arabische Polit-Kultur. Der Hauptexportartikel der Araber sind Entschuldigungen. Sie jammern bis heute über den Kolonialismus. Aber Saudi-Arabien war beispielsweise nie kolonisiert. Plus: So schlimm ist Kolonisierung nicht. Wir haben den britischen Kolonialismus in Palästina genutzt, um zu lernen, wie man sich zivilisiert benimmt. Die meisten Aschkenasim kamen aus den ärmsten Regionen Europas. Keiner von denen wusste, was ein Justizsystem ist, dass man Menschen vor dem Recht gleich behandelt, niemand hatte eine Ahnung, wie Beamtenschaft funktioniert. All das haben wir von den Briten gelernt. Was ich sagen will: Natürlich ist der Kolonialismus zu verdammen. Aber man kann sich die Dinge herauspicken, die funktionieren. Die arabische Welt verweigert es, sich auf die moderne Welt einzustellen. Pluralismus ist unbekannt. Wenn man in einer Nachbarschaft lebt, die so instabil, gewalttätig und frustrierend ist, dann muss man schon Europäer sein, um einen Satz so bilden, der das Wort "Nahost-Frieden" enthält.
Sie erwarten Krieg mit einem der Nachbarn Israels?
Es wird Anschläge geben. Oder Raketenangriffe. Israel wird darauf mit Gewalt antworten. Es ist nämlich eine europäische Fantasie, dass man darauf ohne Gewaltanwendung reagieren kann. Als Nächstes sind dann wieder die Araber an der Reihe. Der nächste Krieg kommt bestimmt. Der kommt vielleicht aus dem Norden, aus dem Süden, vielleicht von der Hamas, vielleicht von der Hisbollah. Er kommt in zwei Wochen oder in zwei Monaten oder in zwei Jahren. Aber er wird kommen. Was aber in der Zwischenzeit in Israel passiert: Die Menschen haben die Hoffnung auf Frieden verloren. Sie sind nun bereit, nicht auf ihn zu warten, sondern das zu tun, was zu tun ist, nämlich aus dem größten Teil der Westbank abzuziehen. Nicht, weil es sich die Palästinenser verdient hätten - denn das haben sie nicht. Auch nicht, weil es Frieden bringen wird - denn das wird nicht passieren. Aber wir sollten nicht unsere Energien darauf verschwenden, über Millionen von Menschen zu herrschen, die unsere Herrschaft nicht wollen. Unser Problem: Wir sind kein Teil dieser Region und wollen das auch nicht sein. Manche Israelis hatten den Traum, eines Tages werden wir Frieden haben und dann wird Israel Teil des Nahen Ostens. Ich hatte diese Wahnvorstellung nie: Wollen wir so freigeistig werden wie Syrien? So demokratisch wie Saudi-Arabien? So frauenfreundlich wie Katar? Was gibt es im Nahen Osten, dessen Teil man sein will? Nichts. Warum sollen wir mit dem Niltal konkurrieren, wenn wir mit Silicon Valley konkurrieren können? Sie werden bemerkt haben, dass ich arrogant bin.
Ach, tatsächlich? Überaus arrogant, würde ich sagen.
Aber sogar der arrogante Schmock, der vor ihnen sitzt, weiß, dass unser Einfluss auf die Region winzig ist. Wir können sie nicht verändern. Und wir sollten das auch nicht versuchen. Je weniger wir mit der Region zu tun haben, desto besser.
Wollen Sie Israel vielleicht wie einen Teppich einrollen und in Kalifornien wieder ausbreiten?
Wir müssen ja nicht physisch bewegen. Psychisch haben wir uns aus der Region ja schon entfernt.
Schwarz-Weiß-Malerei ersetzt aber auch keine Analyse.
Einspruch. Ich möchte ein Plädoyer für die Schwarz-Weiß-Malerei aussprechen. Wenn alles nur grau ist, ist man verwirrt. Kulturen ändern sich nicht sehr schnell und auch nicht zum Besseren.
Vielleicht ist das auch in Israel der Fall.
Zu dem Schluss gelangen Sie, weil sie das liberale Blatt "Haaretz" zu oft lesen.
Wie wird es in Syrien weitergehen? Was passiert am Tag nach dem Krieg?
Es gibt keinen Tag nach dem Krieg. Die Waffen werden nicht schweigen. Es gibt keinen Irak, es gibt kein Syrien, es gibt Stämme, es gibt Sunniten, Schiiten und Kurden. Aber Ihre Frage war ja die nach der Zukunft Syriens. Wie es dort weitergeht? Keine Ahnung. Vielleicht so: Was immer die Russen für Assad absichern, wird Alawistan. Im Rest wird Chaos herrschen.
Zur Person
Dan Schueftan
ist Vorsitzender des National Security Studies Center an der Universität von Haifa. Er lehrt auch am National Security College der israelischen Armee. Schueftan war Berater von Premierminister Jitzhak Rabin und Ariel Scharon.