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Die Lage ist hoffnungslos, nicht ernst

Von Elsa Hackl

Wissen

Es braucht mehr Beiträge der Wirtschaft für die Universitäten. | Ohne Änderung des Steuersystems sollte man über Studiengebühren nicht reden. | Die österreichische Bundesregierung wird dem Nationalrat den Entwurf eines Bundesfinanzgesetzes für das kommende Finanzjahr verspätet vorlegen. Sie sorgt aber dafür, einschlägige Informationen "informell" an die Bürger zu bringen.


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So wissen die Rektoren der Universitäten spätestens seit Mai, welches Ausmaß die Kürzungen ihrer Budgets annehmen werden. Anfang September legte dann auch Wissenschaftsministerin Beatrix Karl ihre Überlegungen zur Abfederung der geplanten Reduktion des Hochschulbudgets dar. Sie will die Budgetlücke, die ihrer Meinung nach 250 Millionen Euro pro Jahr beträgt, mittels Studienbeiträgen schließen. Im Gegensatz zu den mit dem Studienjahr 2001/02 eingeführten und 2007 wieder abgeschafften Studiengebühren sollen die nunmehr angepeilten Studiengebühren pro Lehrveranstaltung bzw. abgelegter Prüfung eingehoben werden. Damit soll der Kritik entgegnet werden, ein Großteil der Studierenden sei berufstätig und besuche pro Semester wenige bis keine Lehrveranstaltungen.

Wie bereits frühere Vorstöße wurde der Vorschlag Karls vom Koalitionspartner SPÖ und Studierendenvertretern abgelehnt. Die Rektoren hielten sich in der Diskussion zurück: Einerseits dürfte die Erinnerung daran, dass die Studiengebühren zunächst nicht den Universitäten zugute kamen, einem großen Zuspruch zu Gebühren Abbruch getan haben. Anderseits sollen die Gebühren dem Vorschlag der Ministerin nach moderat sein und folglich das Problem der Unterfinanzierung der Universitäten nicht lösen.

Daher gefiel den Rektoren auch der Vorschlag einer Abgabe, die Akademiker an ihre jeweilige Alma Mater abführen, besser. Diese Idee wurde vom deutschen Bildungsökonomen Dieter Dohmen in einem Vortrag vor der Universitätenkonferenz gemacht. Rektorenchef Hans Sünkel stellte aber klar, dass diese Abgabe nicht ausreiche und der Unterfinanzierung nur durch mehr öffentliche Mittel beizukommen sei. Die österreichische Bevölkerung war zufällig auch zur rechten Zeit befragt worden, das Linzer Market-Institut stellte fest, dass 70 Prozent der Befragten sich eher für Studiengebühren aussprachen.

Unipolitik als Standortpolitik

Während diese Debatte vor sich ging, präsentierte die OECD in Paris ihren jährlichen Bericht "Bildung auf einen Blick", der auch den Tertiärbereich hinsichtlich Finanzierung, öffentliche und private Renditen darstellt. Demnach verdienen in Österreich Hochqualifizierte, obwohl sich deren Zahl in den beiden letzten Jahrzehnten mehr als verdoppelte, um 60 Prozent mehr als Erwerbstätige, die nur über eine abgeschlossene Berufsausbildung verfügen. Mit dieser privaten Rendite liegt Österreich zwischen Deutschland (67 Prozent) und der Schweiz (54).

Auch die öffentliche Rendite tertiärer Bildung (höhere Steuereinnahmen und Sozialabgaben, längere Erwerbszeiten, geringere Arbeitslosigkeit) ist von allen OECD-Staaten lediglich in Deutschland, Belgien und Ungarn höher als in Österreich.

Man könnte also meinen, aufgrund dieser privaten und öffentlichen Renditen sei es nur gerechtfertigt, die Universitäten durch staatliche Mittel und Studiengebühren zu finanzieren. Doch der angeführte durchschnittliche Einkommensvorsprung sagt selbstverständlich nichts darüber aus, wie gleichmäßig Akademiker davon profitieren. Nach einer Anfang dieses Jahres veröffentlichten Studie ("Zwischen Akademikermangel und prekärer Beschäftigung", ibw-Forschungsbericht Nr. 153) ist ein Viertel der Akademiker ohne adäquaten Job, das heißt diese verdienen vielfach weniger als Absolventen mit Abschluss einer Berufsbildenden Höheren Schule.

Auch sind es nicht nur der öffentliche Sektor und der einzelne Akademiker, die von tertiärer Bildung profitieren. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich nicht nur die Anzahl berufstätiger Akademiker erhöht, sondern auch deren Beschäftigungsbereiche haben sich nachhaltig verschoben. Während vor etwa 30 Jahren noch 55 Prozent der Bevölkerung mit Universitätsabschluss im erwerbsfähigen Alter in den traditionell öffentlichen Bereichen - Verwaltung, Unterricht, Gesundheit, Soziales - tätig waren, hat sich heute das Verhältnis umgekehrt und die Mehrheit arbeitet im privaten Sektor.

Who pays, who profits?

Die öffentliche Hand zahlt also nicht mehr in erster Linie die Ausbildung der "Lehrlinge des öffentlichen Sektors", sondern finanziert im Sinne der sogenannten Standortpolitik die Qualifizierung für Unternehmen. Wirft man einen Blick in die Statistik der Studienabschlüsse, so sieht man, dass mehr als 50 Prozent in Studienrichtungen abschließen, die zu Arbeitsbereichen im privaten Sektor führen, wie Ingenieurswissenschaften, Betriebswirtschaft.

Hinzu kommt, dass bereits das Universitäts-Studiengesetz 1997 bei Einrichtung von Studienrichtungen Qualifikationsprofile und Bedarfsberechnungen einforderte. Der Bologna-Prozess mit der Statuierung von "employability" unterstützt den "vocational drift" der Universitäten, also deren "Verberufsschulung". Unter diesem Aspekt wird die Aufrechterhaltung eines gesonderten Fachhochschulsektors diskutabel. Die ökonomische Funktion der Hochschulen (zu qualifizieren) hat gegenüber der öffentlich-sozialen (das politische System zu legitimieren und zu kritisieren) massiven Überhang gewonnen.

Was ist die Folge, wenn Hochschulstudien ihr Augenmerk auf die Ausbildung des Bourgeois und kaum mehr auf die des Citoyen legen? Bis zu welchem praktischen Spezialisierungsgrad übernimmt die Allgemeinheit die Finanzierung der Ausbildungsfunktion für den privaten Sektor? Wer profitiert und wer bezahlt?

Steuersystem und Gebühren

Obwohl das Budget ausgabenseitig saniert werden soll, ließ es sich nicht vermeiden, dass nicht nur Ausgaben, wie die für die Hochschulen, sondern auch Einnahmen, also das Steuersystem, vermehrt die öffentliche Debatte beherrschen.

Als die Diskussion um die Einführung von Studiengebühren Anfang der 1990er Jahre geführt wurde, wurde thematisiert, inwieweit die Einführung von Gebühren steuerrechtliche Benachteiligung verstärke. Seither hat sich das Steuersystem keineswegs in Richtung sozialer Ausgeglichenheit entwickelt. Vermögens-, Erbschafts- und Schenkungssteuer sind gefallen, die Stiftungsbesteuerung führte zur Bevorzugung von Vermögenden. Die Gruppenbesteuerung befreit Konzerne von Steuerlast.

Das Abführen von Steuern war zu keiner Zeit beliebt. Im Zuge der Standortpolitik wurde aus dieser Abneigung Jahrzehnte lang politisches Kapital geschlagen. Fast scheint es, dass nunmehr nicht nur jeder Bürger meint, öffentliche Infrastruktur und Dienste bräuchten nicht finanziert zu werden, sondern auch der Finanzminister der Ansicht ist, sein Amt sei auch ohne Steuern notwendig. Die politischen Entscheidungsträger scheinen unfähig, ein allgemein akzeptables Steuersystem herbeizuführen. Ein System, das nur mehr durch Gerichtsurteile geformt wird, ist kein Fundament für Kompromisse darüber, was aus dem Staatshaushalt und was von Einzelnen für öffentliche Leistungen erbracht werden soll.

Wissenschaftsministerin Karl zitierte in einem Interview den Generaldirektor von Böhler-Uddeholm, Claus Raidl, der gesagt haben soll, er könne es den obersteirischen Industriearbeitern nicht erklären, dass diese das Studium seiner Söhne zahlen sollen. Das klingt hemdsärmelig gerecht. Was heißt die Aussage aber, wenn man sie ernst nimmt? Sie heißt im Grunde: Die Universität ist eine Infrastruktureinrichtung der ökonomischen Elite, die sich diese auch selbst zahlen muss.

Die Aussage schließt selbstverständlich nicht aus, dass zusätzliches Humankapital erforderlich ist. Dann ist "Brain Drain" aus der obersteirischen Industriearbeiterschaft erforderlich, das durch ein staatliches Stipendiensystem zu finanzieren ist. Die Daten über die soziale Zusammensetzung der Studierenden geben Claus Raidl grosso modo recht, dass dies unser System ist. Aber: Muss dies institutionell zementiert werden? Ist dies zweckmäßig für die Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft und für den gesellschaftlichen Zusammenhalt?

Reform aufgeschoben

Da niemand daran gehindert wird, der Universität das Studium seiner Kinder zu bezahlen oder ihr die eigene Ausbildung abzugelten (nach FH-Satz beträgt der Betrag für Claus Raidl an die WU etwa 52.000 Euro), zeigt die Aussage auch, wie wenig ausgeprägt Gemeinsinn und Mäzenatentum sind und wie wichtig ein funktionierendes Steuersystem für die Universitäten ist.

Die Lage ist hoffnungslos, aber nicht ernst. Wie man dieser Tage den Medien entnehmen kann, verzeichnet der Bund Mehreinnahmen von 1,5 Milliarden Euro - somit kann sich die Regierung vorerst den Mühen einer grundlegenden Reform entziehen - sowohl einer der Hochschulfinanzierung, als auch einer des Steuersystems.

Zur Person

Elsa Hackl ist Juristin und Politikwissenschafterin am Institut für Politikwissenschaft der Uni Wien.

Obenstehender Gastkommentar gibt ausschließlich die Meinung des betreffenden Autors wieder und muss sich nicht zwangsläufig mit jener der Redaktion der "Wiener Zeitung" decken. Siehe auch:Buchbesprechung Broukal / Niederwieser (Hrsg.): Bildung in der Krise