Zum Hauptinhalt springen

Die Landkarten der Zellen

Von Eva Stanzl

Wissen
"Kornblumen": Die Zellteilung hat verschiedene Stufen, eine davon ist die Mitose. Blau im Bild die Chromosomen und grün der Spindelapparat, der die Zellen korrekt teilt. Foto: IMP

500 Gene dirigieren den Takt des Herzens. | Plötzlicher Herztod bald vermeidbar? | Über 1200 Gene bewerkstelligen die korrekte Zellteilung. | Wien. Wissenschafter kennen 22.000 menschliche Gene. Um mit ihnen etwas anfangen zu können, müssen sie ihre Funktionen verstehen. Dabei kommt es nicht nur auf die Eigenschaften der einzelnen Erbgutträger an, sondern auch auf deren Rolle im Gesamtsystem, die entscheidend ist für die Bildung und Behandlung von Krankheiten. "Ein Gen auf sich gestellt verursacht noch keine Krankheit", betont Josef Penninger, Chef des Instituts für Molekulare Biotechnologie in Wien. | Kommentar: Der Herzschlag der Forschung


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 15 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Österreichische Systembiologen liefern nun Erkenntnisse, die Fortschritte in der Therapie von Herzkrankheiten und Krebs bringen könnten. Etwa hat Penninger mit einem internationalen Team sämtliche Gene identifiziert, die an der Regulation der Herzfunktion beteiligt sind. Die Forscher haben die erste vollständige Genkarte der Herzfunktion am Lebend-Modell erstellt: Sie bedienten sich dabei der hauseigenen Taufliegen-Sammlung und konnten 500 Gene identifizieren, die für die einwandfreie Funktion des Fliegenherzes nötig sind.

Obwohl der Kreislauf bei Fliegen anders funktioniert als beim Menschen, haben sich die Gene, die die Herzfunktion steuern, im Lauf der Evolution kaum verändert, betont Penninger. Im Detail untersucht wurden nur jene 50 bis 60 Prozent, von denen Variationen im Menschen zu finden sind. Um die Landkarte zu erstellen, wurden vorhandene Menschen-Gene, die Herzerkrankungen verursachen, dazugenommen. "Es werden immer wieder neue Gene gefunden - für Alzheimer, für Diabetes. Aber diese Daten resultieren aus mathematischen Modellen und sind nicht funktionell - im Unterschied zum Lebend-Modell", sagt Penninger zur Wiener Zeitung.

Stress als Auslöser

Das Besondere: In den Fliegen wurde ein völlig neues Gen gefunden, dessen Variante beim Menschen mit plötzlichem Herztod assoziiert wird. Pro Jahr sterben rund 15.000 Österreicher am plötzlichen Herztod. Ohne spürbare vorangegangene Warnzeichen hört ihr Herz auf zu schlagen, nicht selten trifft es scheinbar gesunde, junge Menschen. Ursache ist eine Vorerkrankung des Herzens. Auslöser ist Stress - etwa durch Sport -, der zu einer Rhythmusstörung führt. Neue Medikamente auf Basis der Gen-Karte könnte es in zehn Jahren geben.

Breiter angelegt ist das mit 8,6 Millionen Euro EU-geförderte Forschungsprojekt "Mitro Check". Ein Forscherteam unter der Leitung von Jan-Michael Peters vom Institut für Molekulare Pathologie in Wien hat dabei die Zellteilung unter die Lupe genommen. Dazu wurden alle 22.000 menschlichen Gene untersucht und eine Landkarte von den 1249 zuständigen Genen erstellt. Ihre Rolle in der Zellteilung wurde in Nature und Science veröffentlicht. Die Forscher haben jedes Gen in menschlichen Zellkulturen ausgeschaltet und dann beobachtet, ob sich die jeweilige Zelle noch normal teilt oder nicht. "Wir haben auch die Proteine gefunden, die für den Aufbau des Spindelapparats wichtig sind, der Zellen korrekt in zwei gesunde Tochterzellen teilt", beschreibt Peters den Bauplan.

Langfristig wollen die Forscher ihr Wissen etwa für die Entwicklung von wirksameren Krebsmedikamenten nützen. "Das Verständnis der Zellteilungsmechanismen ist die Voraussetzung dafür, erklären zu können, wie es zur Entstehung von Krebs kommen kann", sagt Peters. Krebs ist - vereinfacht - unkontrollierte Zellteilung. "Wenn man die Mechanismen kennt, hätte man neue Zielmoleküle für eine Therapie, ohne die Enzyme zu zerstören, die für die Teilung gesunder Zellen nötig sind", sagt der Biologe.