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Die lange Nacht der Verhandlungen

Von Brigitte Pechar

Politik

Noch wurde die Demissionierung der Regierung vom neuen Staatsoberhaupt nicht angenommen.


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Wien. Ein Verhandlungsmarathon stand den Regierungsmitgliedern am Donnerstag ins Haus. Es wurde erwartet, dass auch noch heute, Freitag, eine abschließende Runde der sechs Koordinatoren und auch ein Vier-Augen-Gespräch der Regierungsspitze notwendig sein wird, um das Arbeitsprogramm für die kommenden eineinhalb Jahre festzuzurren.

Zuvor fand sich die Regierung aber noch bei Bundespräsident Alexander Van der Bellen in der Hofburg ein. Eine gute halbe Stunde hatte sich das Staatsoberhaupt Zeit genommen, um mit Kanzler Christian Kern (SPÖ) und Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) eine erste Besprechung vorzunehmen. In einem Statement danach meinte er, es sei Tradition, dass die Regierung ihren Rücktritt dem neu gewählten Präsidenten anbiete, und ebenso sei es Tradition, dass dieser - "surprise, surprise" - diesen nicht annehme.

Van der Bellen zeigte sich "sehr zuversichtlich", dass die Regierung das in sie gesetzte Vertrauen rechtfertigen werde. Bezüglich der laufenden Gespräche über eine Neufassung des Regierungsprogramms meinte der Präsident, er hoffe, dass diese weiter konstruktiv verlaufen. Dies sei nicht nur im Interesse der Regierung selbst, sondern der gesamten Bevölkerung.

Im Anschluss an das Statement Van der Bellens zog sich die ganze Regierung mit dem Staatsoberhaupt zu einem kurzen Empfang zurück. Vom Kabinett fehlte einzig Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP), der bei einem EU-Ministerrat auf Malta weilte. Er wurde aber für den Abend zu den Gesprächen mit den Fachministern zurück erwartet.

Dann ging es für die Sechserrunde der Koalition - Bundeskanzler Kern, Kulturminister und Regierungskoordinator Thomas Drozda und Klubobmann Andreas Schieder auf SPÖ-Seite sowie Vizekanzler Mitterlehner, Finanzminister Hans Jörg Schelling sowie Staatssekretär und Regierungskoordinator Harald Mahrer auf ÖVP-Seite - zurück ins Bundeskanzleramt zu einer weiteren Verhandlungsrunde, die um 17 Uhr neuerlich für einen Empfang beim Bundespräsidenten unterbrochen wurde.

Am Abend setzten die Verhandler ihre Gespräche mit den Fachministern fort. Die Kapitel Arbeit und Wirtschaft, Sicherheit und Integration, Bildung und Universitäten, Innovation und Start-ups, Nachhaltigkeit standen im Zentrum der Beratungen. Beim Kapitel Arbeit und Wirtschaft sei man am Mittwoch schon sehr weit gekommen, aber abgeschlossen sei noch nichts, hieß es zu Redaktionsschluss dieser Ausgabe.

Bundeskanzler Kern will jedenfalls ein "Gesamtpaket" vorlegen. Darin sollen die einzelnen Vorhaben sehr detailliert ausgearbeitet sein und mit einem Zeitplan versehen sein. Ob das schon heute, Freitag gelingt, war gestern noch völlig ungewiss. Der Wille sei da, auch das Klima sei gut - jedenfalls in der Sechserrunde, hieß es von beiden Verhandlungsseiten. Erwartet wurde, dass heute Vormittag noch eine finale Gesprächsrunde in der Sechsergruppe notwendig sein wird und um die Mittagszeit in einem finalen Vier-Augen-Gespräch zwischen Kanzler und Vizekanzler die Entscheidung fallen soll, wie es mit der Regierung weitergehen soll. Gelingt eine Einigung, wird die Regierung eine sehr arbeitsintensive Endphase vor sich haben. Aber auch ein Platzen der Koalition wollte am Donnerstag niemand der Gesprächspartner ausschließen. Es sei alles möglich, hieß es. "Sollte es zu einem Bruch kommen, dann sicher nicht, weil es große ideologische Unterschiede gibt, sondern dann geschieht das aus einem politischen Kalkül heraus", hieß es zur "Wiener Zeitung".

Van der Bellen hatte in seiner Angelobungsrede bereits darauf gedrängt, dass die Regierung von der Beratungs- in die Umsetzungsphase kommen müsse: "In den letzten Wochen wurde eine Fülle von Ideen und Vorschlägen präsentiert und diskutiert. Das halte ich für gut, das ist ein Beispiel für die Vielfalt von Ideen. Nur die Idee allein - die Österreicher warten schon auf die notwendigen Entscheidungen und Ergebnisse, die ihr Leben verbessern. Dafür wünsche ich Ihnen allen alles Gute."

Ähnlich hatte schon am Dienstag Kanzler Kern argumentiert: "Wir müssen Ergebnisse auf den Tisch legen, sonst braucht es diese Regierung nicht mehr."

Einen Ausgang der nächtlichen Beratungen wagte am Donnerstagabend niemand vorherzusagen. "Es ist jeden Tag anders. Vorgestern (am Dienstag, Anm.) sah es noch nach Bruch aus. Da ist eine Dynamik entstanden, die aus dem Ruder gelaufen ist. Jetzt hat man von der Tonalität her eher wieder den Eindruck, es kann weitergehen", war aus Regierungskreisen zu hören.

Ein Eindruck, den der Bundeskanzler nach den Gesprächen Donnerstagnacht zu verstärken versuchte. "Nein, es gibt keine Neuwahlen", betonte Kern.