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Die lange Wunschliste des Präsidenten

Von Ronald Schönhuber

Politik

Obama skizziert in seiner Rede zur Lage | der Nation einen linksliberalen Kurs.


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Washington. Es war wohl ein entscheidendes Talent, das ihn 2008 ins Weiße Haus gebracht hat. Mit seinem Feuer, seiner rhetorischen Stärke und der Fähigkeit, Hoffnung auch unabhängig konkreter politischer Inhalte zu vermitteln, konnte Barack Obama auch jene überzeugen, die nicht zu seiner ureigensten Klientel gehörten. Doch die vier Jahre im Amt hatten auch an Obama Spuren hinterlassen. Abgenutzt, müde und ungewohnt hölzern wirkte der US-Präsident teilweise bei seinen Wahlkampfauftritten im vergangenen Herbst.

Doch nun scheint Obama sich wieder gefunden zu haben. Seit seiner Wiederwahl ist der 51-Jährige nicht nur bester Laune, er wirkt auch wesentlich gelöster und selbstsicherer. Deutlich zu spüren ist das auch am Dienstagabend als Obama seine Rede zur Lage der Nation hält, jene Ansprache vor dem Kongress, die eigentlich eine Regierungserklärung ist, aber viel feierlicher zelebriert wird als anderswo.

Trotz des zu erwartenden Widerstands der Republikaner skizziert Obama vor 50 Millionen TV-Zusehern für die nächsten vier Jahre einen Kurs, der betont linksliberale Züge aufweist. So will der Präsident die Armut bekämpfen, den Mittelstand stärken und die Privilegien der Reichsten im Land eindämmen. "Lassen Sie uns heute erklären, dass im wohlhabendsten Land der Welt niemand, der den ganzen Tag arbeitet, in Armut leben soll", ruft Obama den Amerikanern an den TV-Schirmen zu. "Lassen Sie uns den bundesweiten Mindestlohn auf neun Dollar pro Stunde anheben." Dann spricht er die Verzerrungen des Steuerrechts an, das Milliardären einen günstigeren Steuersatz beschert als ihren Sekretärinnen. Und immer wieder kehrt der Präsident in seiner Rede zur tiefen Kluft zwischen Arm und Reich zurück: Die Gewinne von Konzernen seien auf Rekordhöhen gestiegen, während sich die Löhne seit über einem Jahrzehnt kaum bewegten, kritisiert Obama. "Es ist unsere unvollendete Aufgabe sicherzustellen, dass diese Regierung für viele arbeitet und nicht nur für wenige."

Milliarden für Infrastruktur

Daneben macht sich Obama vor allem für Investitionen stark. Die USA sollen im harten globalen Wettbewerb wieder zur Nummer eins werden, lautet die Botschaft in Kurzform. Neben dem geplanten Freihandelsabkommen mit der EU (siehe Artikel oben) soll dies vor allem durch eine Förderung der frühkindlichen Ausbildung und die Modernisierung von Schulen gelingen. Und auch die marode Infrastruktur im Land soll durch Ausgaben in Höhe von 50 Milliarden Dollar wieder auf Vordermann gebracht werden. 70.000 Brücken müssten etwa dringend saniert werden.

Einen konkreten Weg, wie er den tiefen Graben zur Opposition überwinden will, die so gut wie allen seiner Vorschlägen skeptisch gegenübersteht, bleibt der Präsident an diesem Abend allerdings schuldig. Viel mehr als eine emotional vorgetragene Aufforderung an die Republikaner, die Blockadehaltung im Kongress zu beenden, ist an diesem Abend nicht zu hören. Aber auch auf der anderen Seite gibt es keine Bewegung. Noch während Obama seine Rede hält, lässt der Republikaner John Boehner eine Mitteilung verbreiten, in der er Obama dafür kritisiert, keine Lösungen vorgeschlagen zu haben.

Klar wird am Dienstagabend aber nicht nur, dass die Fronten zwischen Demokraten und Republikanern nach wie vor verhärtet sind. Es zeigt sich auch, wie sehr sich die Prioritäten des Präsidenten für die zweite Amtszeit verschoben haben. Als er vor vier Jahren ins Weiße Haus einzog, wollte Obama die Welt verändern. Diesmal erübrigt er für außenpolitischen Themen hingegen kaum Zeit. Dem Massaker in Syrien widmet er gerade einmal einen Satz, ebenso wie Israel. Nordkorea ist immerhin zwei Sätze wert. Geradezu beiläufig erwähnt Obama, dass er mit Russland eine weitere Reduzierung der Atomwaffen erreichen will. Und auch der Abzug aus Afghanistan nimmt keinen prominenten Platz ein.

Plädoyer für Waffenrecht

Den stärksten und emotionalsten Moment hebt sich Obama dann aber für den Schluss auf. Knapp 50 Minuten nach Beginn seiner Rede kommt der Präsident auf die 26 Opfer des Amoklaufs von Newton zu sprechen. Und auf Hadiya Pendeleton, jenes 15-jährige Mädchen, das noch bei Obamas Amtseinführung vor zwei Monaten auftrat und dann nur wenige Tage später erschossen wurde. "Es sind mehr als tausend Geburtstage, Schulabschlüsse und Jahrestage, die uns genommen wurden", sagt der Präsident, bevor er seine Vorschläge für eine Verschärfung des Waffenrechts noch einmal wiederholt. "Die Eltern von Hadiya Pendleton verdienen es, dass darüber abgestimmt wird", ruft Obama anschließend. "Genauso wie die Familien von Newtown, Aurora, Oak Creek und Tucson." Dann folgt donnernder Applaus. Selbst die Republikaner, die mehrheitlich gegen strengere Gesetze sind, müssen in diesem Moment Beifall spenden. Wenn es im Kongress zur Abstimmung geht, wird das Obama aber kaum nützen.