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Die Last der Welt

Von David Ignatius

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Der Autor war Chefredakteur der "International Herald Tribune". Seine Kolumne erscheint auch in der "Washington Post".

US-Außenministerin Condoleezza Rice wird ihr Amt nur noch bis 20. Jänner bekleiden - die disziplinierte Politikerin entspannt sich zusehends und kehrt bald nach Stanford zurück.


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Sie ist wie immer perfekt gekleidet: maßgeschneidertes Kostüm und Halskette aus Gold. Aber sie ist entspannt - ausnahmsweise. Thanksgiving steht vor der Tür und ihre Gedanken richten sich allmählich auf ihr Leben nach dem 20. Jänner. US-Außenministerin Condoleezza Rice übertrifft wahrscheinlich in ganz Washington, dieser Stadt der Workaholics, alle anderen an Disziplin.

Eine perfekte junge Frau, die allen gefällt und alle beeindruckt, war sie schon immer. "Denke immer daran", pflegte ihre Mutter Angelena zu ihr zu sagen: "Bist du overdressed, wirft das ein schlechtes Licht auf andere, bis du underdressed, wirft das ein schlechtes Licht auf dich". An diese Regel hat sie sich immer gehalten, mit der eisernen Disziplin, die sie als Pianistin und Eisläuferin gelernt hat.

In ein paar Wochen aber, wenn der designierte US-Präsident Barack Obama sein Amt antritt, wird Condoleezza Rice nur mehr sich selbst gefallen müssen - und das hat jetzt schon eine befreiende Wirkung auf sie. Sie spricht über ihre Vergangenheit und über ihre Zukunft wie jemand, der nichts mehr beweisen muss.

Nach der Inauguration wird sie Washington verlassen und an die Stanford University zurückkehren. Wenn es dann das nächste Mal "Meet the Press" heißt, wird sie das nicht mehr betreffen. "Ich möchte keine Schatten-Außenministerin sein", sagte sie mir.

In ihrem Wunsch, wirklich mit der Vergangenheit zu brechen, erinnert mich Condoleezza Rice an Dean Rusk, einen früheren US-Außenminister. Er sprach mir gegenüber damals von einer ungeheuren Erleichterung, die er gefühlt habe, als er sein Amt im Jänner 1969 verließ: Die Last der Welt sei endlich von seinen Schultern genommen, sagte er, nun könne er heimkehren nach Georgia.

Erfreut ist Rice aber auch über die Wahl Barack Obamas zum ersten afro-amerikanischen US-Präsidenten. In der Wahlnacht, als sein Sieg verkündet wurde, schlief sie zwar - ja, so diszipliniert ist sie -, zur Wahl sagt sie aber: "Das ist die bisher stärkste Bestätigung, dass Amerika tatsächlich das ist, was es behauptet zu sein. Und es ist eine Erinnerung daran, dass Amerika viel überwinden musste, um dahin zu gelangen."

Viel hat Rice in letzter Zeit darüber nachgedacht, was ihre Eltern alles durchstehen mussten, um eine Welt zu schaffen, in der andere heute all diese großen Träume träumen können. Darüber will sie ein Buch schreiben.

Rice weiß, dass sie nie wieder unerkannt im Laden an der Ecke einkaufen kann. Sie will ihren Superstar-Status nützen, um sich für Bildung einzusetzen: "Ich bin eine Pädagogin, die einen Abstecher gemacht hat." In einem zweiten geplanten Buch soll es um Außenpolitik gehen. Das wird aber länger dauern, sagt Rice: Zuerst braucht sie ein bisschen Abstand.

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Ein Update zum Iran: Die Bush-Regierung wollte seit längerer Zeit eine diplomatische Vertretung in Teheran eröffnen, und zwar noch im November. Das wird nun nicht stattfinden. Die Geschichte wirft ein Licht auf die zerrütteten US-iranischen Beziehungen: Bereits der September-Termin musste verschoben werden, wegen der russischen Invasion in Georgien. Man griff den Plan aber erneut auf - und ließ ihn doch wieder fallen, als der Iran bei den Verhandlungen mit Bagdad über den Status der US-Truppen im Irak dazwischenfunkte.

Nun muss dieses heikle Thema der Beziehungen zum Iran an die nächste Regierung weitergereicht werden. "Es ist sich nicht mehr ausgegangen", sagte ein Regierungsbeamter. Das ist die frustrierendste und gefährlichste unfertige Aufgabe, die auf das neue Regierungsteam wartet.

Übersetzung: Redaktion

briefausdenusa@wienerzeitung.at