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Die Latte liegt hoch · Mittelpartei als Ziel

Von Brigitte Pechar

Politik

Die Meinungsforscher sagen den Grünen für kommenden Sonntag den sicheren Einzug mit etwa 6 Prozent in den Nationalrat voraus. Das ist Bundessprecher und Spitzenkandidat Alexander Van der Bellen zu | wenig, er will die Grünen zu einer "kleinen Mittelpartei" mit 8 bis 10 Prozent machen, das mittelfristige Potential sieht er bei 20 Prozent.


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Seit Wochen tourt Van der Bellen durch die Bundesländer. "Ich fühle mich gut, schüttle nicht tausende Hände und bin auch nicht Kinder küssend unterwegs", vertraut er darauf, dass er sich bis zum

Abschlussfest der Grünen kommenden Freitag im Palais Liechtenstein noch voll ins Wahlkampfgetümmel mischen kann. Zwei Päckchen Zigaretten und viel starker, schwarzer Kaffee helfen ihm dabei. Denn der

Wahlkampf der Grünen ist diesmal ganz auf den Spitzenkandidaten, der neuerdings als "ministrabel" gilt, ausgerichtet. Mit gutem Grund: Der Wirtschaftsprofessor erhält in allen Umfragen hohe

Sympathiewerte. Ein Stagnieren beim " Existenzminimum" (4,8 Prozent bei der Nationalratswahl 1995) wäre für Van der Bellen ein "Rückzugssignal".

Vergangenen Freitag machte der Grüne Wahlkampf-Tross in seiner Heimatstadt Linz Halt. In der Fußgängerzone wird das Café Politik aufgebaut: Van der Bellen steht dem · vorwiegend jungen · Publikum

Rede und Antwort. Die Grünen Sachthemen Arbeit, NATO, AKW und Frauenpolitik stehen zur Diskussion, aber auch die Kontrollfunktion der Grünen. "Macht braucht Kontrolle · Kontrolle ist Grün." Dafür

stünden Peter Pilz (Baukartell), Karl Öllinger (Euroteam) oder Madeleine Petrovic (Lassing).

Die Grünen hätten da eine Reihe von Erfolgen vorzuweisen. "Man braucht aber auch die Bestätigung von aussen", sagt er. Und darum wirbt er vor allem bei potentiellen LiF-Wählern. "Ich wünsche mir,

dass kein Mitleidseffekt eintritt". Mitleid ist keine politische Kategorie: "Politik ist ein gegenseitiges Geschäft. Ihr müsst schon hingehen und mich ankreuzen. Wir haben nichts zu verschenken, vor

allem keine Stimmen." Abwerben will Van der Bellen auch von der ÖVP, etwa den "einen oder anderen christlich sozialen Wähler", der mit einem NATO-Beitritt nichts anzufangen weiß. Von der SPÖ wieder

wollen sich die Grünen jene holen, die mit der Politik von Innenminister Schlögl nicht mitkönnen.

Bleibt die Frage, warum tut man sich als gutsituierter Professor das an und geht in die Politik? "Aus Überzeugung, etwas ändern zu können in diesem Land." Sein Leben habe durch den Einstieg in die

Politik an Spannung gewonnen. Obwohl er sich mit 55 Jahren schon die Frage nach den Opportunitätskosten gestellt habe. Genausogut hätte er ein Sabbatical nehmen und ein Forschungssemester in

Australien einlegen können, wo auch sein dreijähriger Enkelsohn lebt. Berufspolitiker will Van der Bellen nicht werden: "Politik ist für mich ein Lebensabschnitt."