Seit Neuestem sehen uns unsere deutschen Nachbarn mit ganz anderen Augen.
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Mitunter ist es ja ganz interessant zu erfahren, was das Ausland so über unsereins denkt. Zumal dies in der Regel ohnehin nicht viel sein dürfte, zu groß ist die Welt, zu klein dieses Österreich, dessen Bewohner noch dazu zwar überall gerne mit dabei sein wollen, aber nur ungern mittendrin. Viel lieber stehen wir ein wenig abseits und denken uns unseren Teil.
Seit sich die Bundesregierung in bisher ungeahnter Einigkeit zum An- und Wortführer all jener Staaten aufgeschwungen hat, die das vage Gefühl haben, nicht länger auf eine europäische Lösung für die Drosselung der Flüchtlingsströme warten zu können, schaut man draußen wieder etwas genauer hin, wenn die Rede auf Österreich kommt.
Die konservative Hamburger Tageszeitung "Die Welt" hat Österreich Ende vergangener Woche eine längere Abhandlung gewidmet. Und es ist durchaus erhellend, was die (Nord-)Deutschen zu entdecken glauben, wenn sie -über Bayern hinweg - gen Süden blicken. In
dem längeren Text hieß es, unter anderem:
"Nach außen geben sich die Wiener gerne als laxe Zeitgenossen (. . .). Doch diese Pose ist ein Schmäh. In Wahrheit basiert die österreichische Gesellschaft auf einem extrem starken Staat, der bei Steuer- und Rentenzahlungen keinen Spaß versteht, der die Schneeräumer bei den ersten fallenden Flocken ausrücken lässt und seine innere Ordnung einem dichten Netz genossenschaftlicher Verbände - von der Gewerkschaft über die Sparkassen bis hin zu Pensionistenverbänden - verdankt."
Interessant. Jetzt einmal abgesehen davon, dass der schwarze Seniorenbund tödlich beleidigt sein dürfte, dass man in Hamburg offensichtlich davon ausgeht, dass der rote Konkurrenz vom Pensionistenverband bei den Ruheständlern über ein Vertretungsmonopol verfügt. Mit den Beschreibungen fremder Völker - man denke nur an Tacitus Germanen-Stories - wollte man noch selten ausschließlich den Horizont der eigenen Leser erweitern, die "anderen" waren immer schon Mittel zum Zweck, den eigenen Leuten den Spiegel vorzuhalten.
Die Passage mit den Schneeräumern, die "bei den ersten fallenden Schneeflocken ausrücken", ist natürlich ein gemeiner Seitenhieb auf die suboptimal verwaltete deutsche Bundeshauptstadt, der Rest des "Welt"-Berichts über Österreich liest sich allerdings wie eine recht unverhohlene Aufforderung an Angela Merkel, sich doch bitte endlich die Ösis zum Vorbild zu nehmen.
Aus Merkels Sicht ist das eine bemerkenswerte Fallhöhe. Immerhin wurde sie noch vor kurzem von sämtlichen publizistischen Leitorganen der neuen und alten Welt als Europas mächtigste Frau verehrt. Und jetzt soll sie ausgerechnet in den Spuren des österreichischen Kanzlers wandern. Auf hoher See, vor Gericht und in Zeitungsartikeln hat man das eigene Schicksal nicht mehr selbst in der Hand.
Ansonsten dürfte den heimischen Leser noch interessieren, dass uns der Autor die erstaunliche Wandlung weg vom "verlotterten Balkanland"hin zu einer Skandinavisierung attestiert. Hoffentlich entdecken SPÖ und ÖVP nicht die in dieser Fremdbeschreibung versteckte Gelegenheit zur saftigen Steuererhöhung auf Alkoholika.