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Die Lehren aus der Nationalratswahl

Von Rudolf Teltscher

Gastkommentare

Mit der gebotenen Vorsicht - die Briefwahlstimmen werden erst in einer Woche ausgezählt sein - darf jetzt schon festgestellt werden: Als Ergebnis eines besonders geistlosen Wahlkampfes obsiegten die Vertreter auf kurzfristige politische Lösungen konzentrierter Kräfte. Die politischen Strukturen, die die Zweite Republik geprägt haben, wurden geltungslos: Eine Existenzberechtigung der "großen" Koalition ist dahin. Die wenigen Wahlwerber, die mit - wenn auch nur sehr verschwommenen - längerfristigen politischen Konzepten angetreten sind, mussten beträchtliche Misserfolge verzeichnen.


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Österreichische Politik hat sich auf kurzfristige Lösungsangebote für Fragen reduziert, die damit nicht zu bewältigen sind: Im Wahlkampf stand die Teuerung im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit; dass diese weithin von externen, von der Innenpolitik nicht beeinflussbaren Faktoren gestaltet ist, hat die eine Seite in ihrer Argumentation geleugnet, die andere nicht klar zu machen vermocht.

Die internationale Wirtschaftsentwicklung wurde ignoriert. Das Ergebnis: Teure Scheinlösungen beherrschten die gesamte Wahlbewegung. Grundsätzliche Positionen wurden nur camoufliert sichtbar, außer bei einigen Winzigparteien.

Keiner der Spitzenkandidaten konnte die eigentliche zentrale Anforderung an einen qualifizierten Politiker erfüllen und den Spagat zwischen kurzfristiger Stimmenmaximierung und Vermittlung der Richtigkeit und Berechtigung langfristiger Zielsetzungen für die Gemeinschaft schaffen; selbst die wenigen, die ansatzweise solche Perspektiven im Auge hatten, vermochten diese nicht darzustellen.

Die Spitzenpolitiker der früher großen Parteien sind der Boulevardpresse zum Opfer gefallen, deren genauer Einfluss auf das Wahlergebnis noch untersucht werden muss. Der vermeintliche Profiteur der medialen Unterstützung weiß wohl schon, welchen Preis er dafür zu zahlen hat: und zwar eine für sein politisches Leben geltende Verurteilung zu einer Politik der populistischen Kurzfristmaßnahmen, unter Androhung der Strafe sofortigen Unterstützungsentzuges.

Den Politikern, die sich nach diesem Wahlergebnis an die Arbeit machen, steht ein steiniger Weg bevor: Sie müssen zeigen, dass die Alternative, gegen das Volk recht zu behalten oder doch besser mit ihm zu irren (Victor Adler) falsch ist.

Ihre Führungsaufgabe, die Menschen zu überzeugen, ist noch größer und schwieriger geworden. Sie werden überzeugend kommunizieren müssen, dass Versprechen mit ungedeckten Wechseln auf die Zukunft nur Scheinlösungen sind, die horrende Belastungen für zukünftige Generationen darstellen, und dass langfristige Maßnahmen erfolgreicher sind als kurzfristige. Politik als Summe von Maßnahmen ohne nachhaltige Gesamtkonzeption hat mit dem 28. September trotz gegenteiligen Augenscheins endgültig ausgedient.

Rudolf Teltscher studierte Philosophie, Psychologie und Anthropologie in Wien und ist als Unternehmensberater in Russland.