600.000 Arbeitslose und SPÖ-Chefin Rendi-Wagner haben eines gemeinsam: Gebeutelt vom Schicksal bleibt nur die vage Hoffnung auf eine Renaissance von Arbeit und einem starken Sozialstaat.
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"Das ist schon heftig, von einem Tag auf den anderen arbeitslos." Der Bauarbeiter aus Niederösterreich ist einer von Zigtausenden, die mit der Verhängung der Corona-Beschränkungen durch die Bundesregierung binnen weniger Tage von seiner Firma die Kündigung erhalten haben. Er ist nunmehr einer von rund 600.000 Arbeitslosen in Österreich. Ein Corona-Opfer. Einer, der hofft, dass die Lage am Arbeitsmarkt und damit seine berufliche Situation "schon bald" besser wird.
"Gemeinsam - Solidarität versammelt sich." Unter diesem Motto gibt sich die SPÖ mit ihrer ersten Parteivorsitzenden in der Geschichte der österreichischen Sozialdemokratie zum Tag der Arbeit kämpferisch. Pamela Rendi-Wagner hofft schon viel länger auf eine Wende zum Besseren für die SPÖ. In Wahrheit seit ihrer Wahl zur Bundesparteichefin im November 2018.
Bessere Zeiten gesehen
Die Bauarbeiter, der klassische Hackler, jene Klientel, die über Jahrzehnte der SPÖ den Kanzlerposten und damit die Macht in der Republik gesichert hat und die Chefin der einstigen Arbeiterpartei sind an diesem 1. Mai vereint. Beide haben schon bessere Zeiten hinter sich. Der 1. Mai 2020 ist keiner wie jeder andere. Ein "trauriger 1. Mai", hat SPÖ-Klubvizechef Jörg Leichtfried im ORF-Fernsehen gemeint. In Österreich sind so viele Menschen wie noch nie seit dem Zweiten Weltkrieg arbeitslos gemeldet, dazu kommt mehr als eine Million Menschen, die bei den brutalen wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie in Kurzarbeit über die Runden zu kommen versuchen.
Gleichzeitig grundelt die SPÖ in Umfragen noch unter dem niederschmetternden Ergebnis der Nationalratswahl 2019 mit gut 21 Prozent um die 20-Prozent-Marke herum, bisweilen sogar darunter. Während viele Arbeitnehmer mit den persönlichen Folgen der Krise kämpfen, steckt die SPÖ weiter im tiefen politischen Wellental. Zugleich surft der Obmann der türkisen Konkurrenz, Sebastian Kurz, als Bundeskanzler auf einer Sympathiewelle der Österreicher in Umfragen weit über dem sehr guten Nationalratswahlergebnis.
Die Corona-Krise hat die Misere für den arbeitsuchenden Arbeitnehmer und die SPÖ-Chefin, die sich nicht zuletzt aufgrund vergangener parteiinterner Querschüsse dahinschleppt, schonungslos vor Augen geführt.
Virtuelle Botschaften
Die Beschränkungen gegen die Ausbreitung der Viruserkrankung habe sogar zur Folge, dass die rituelle rote Heerschau, der Maiaufmarsch auf dem Wiener Rathausplatz - wie die Maifeiern in ganz Österreich -, ausgerechnet wenige Monate vor der Wiener Gemeinderatswahl abgesagt werden musste. Die Reden der roten Spitzenpolitiker, die sonst von der Bühne am Rathausplatz den Genossen zuwinken und die Werte der Sozialdemokratie beschwören, abgesagt werden musste. Ihre Ansagen werden heuer wie jene der Bundesparteichefin in TV-Sendern und über Social Media verbreitet.
"Beschissen." So beschreibt der niederösterreichische Bauarbeiter seine Lage. In der SPÖ würde ein so deftiger Ausdruck für die Lage der Bundespartei nur im Geraune unzufriedener Genossen untereinander fallen. In der SPÖ-Zentrale baut man hingegen darauf, dass die SPÖ nach der Akutphase der Corona-Krise ihre Chance wieder erhalten werde, weil die Arbeitnehmer nun merken würden, wer ihre Interessen tatsächlich vertritt. Der Bauarbeiter sagt selbst, dass Kündigung und Arbeitslosigkeit "nicht angenehm" seien. Allerdings räumt er beim Blick über die Grenzen des Landes hinaus ein: "Ich finde, dass es in Österreich, wenn man das mit anderen Ländern vergleicht, besser ist."
Kurz auf Kreiskys Weg
Die SPÖ ist damit konfrontiert, dass Kurz mit der ÖVP ein Stück des Weges auf den Spuren des einstigen Sonnenkönigs Bruno Kreisky wandelt. "Koste es, was es wolle", die nach dem Wirtschaftseinbruch wegen der Corona-Auswirkungen neue Parole des früheren Null-Defizit-Verfechters Kurz, macht es für die SPÖ alles andere als leicht. Die türkis-grüne Bundesregierung macht bis zu 38 Milliarden Euro als Hilfspaket locker. Die SPÖ kann zwar "Solidarität" für die Beschäftigten einmahnen. In Krisenzeiten schart sich aber eine verunsicherte Bevölkerung um eine Regierungsspitze, die Geld locker macht. Das Stakkato an Pressekonferenzen mit türkis-grünen Ministern hat die Oppositionsparteien überdies in den vergangenen Wochen medial an den Rand gedrängt.
Während nun in der Bundesregierung Risse zwischen ÖVP und Grünen bei der Bewältigung der Corona-Krise offenkundig werden - siehe den grünen Vorstoß für eine Vermögenssteuer -, hofft die gebeutelte größte Oppositionspartei auf Aufwind. Rendi-Wagners Botschaft zum Tag der Arbeit wird auf der Betonung der sozialen Absicherung und einer Renaissance eines starken Staates liegen. Vor allem soll der Bevölkerung vermittelt werden, dass nach vier Jahrzehnten nun "der Neoliberalismus am Ende" sei, wie SPÖ-Strategen erläutern.
Die Daumen hoch
Rendi-Wagner wird zum 1. Mai auf elektronischem Weg eine neue Solidarität beschwören. Dazu gehören drei Punkte: ein starker Sozialstaat als Schutz für seine Bürger; hohe Investitionen zur Ankurbelung der Wirtschaft und der Beschäftigung. Kombiniert wird das zweitens mit einem Angriff auf Auswüchse der Globalisierung, der nun die Rückholung bestimmter Wirtschaftszweige nach Österreich zur Sicherung der Autarkie folgen müsse. Schließlich gehe es drittens um die Zuspitzung der Frage der Verteilungsgerechtigkeit. Wer zahlt die Milliardenkosten der Krise? Dafür sollen Millionäre und milliardenschwere internationale Onlinekonzerne zur Kasse gebeten werden. "Breite Schultern müssen schwerere Lasten tragen", lautet die Parole der SPÖ.
Offen bleibt, wie das bei Arbeitnehmern mit niedrigen Einkommen ankommt. Eine Steirerin ist durch die Corona-Krise erstmals nach fast 40 Jahren Berufstätigkeit Anfang April arbeitslos geworden. Knapp mehr als 1000 Euro netto monatlich hat sie in ihrem 30-Stunden-Dienstleistungsjob verdient. Mit dem Arbeitslosengeld kommt sie, obwohl sie seit dem 15. Lebensjahr gearbeitet hat, nicht über die Runden. "Wie soll man mit 650 Euro im Monat leben können?", fragt sie im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" anklagend. Noch dazu, wo sie sich um ihre pflegebedürftige Mutter kümmern muss. Von der Forderung der SPÖ und des Gewerkschaftsbundes, das Arbeitslosengeld von derzeit 55 Prozent des früheren Einkommens auf 70 Prozent zu erhöhen, hat sie nicht nur gehört, sondern sie findet das mehr als berechtigt. Allein, die SPÖ ist trotz der "Koste es, was es wolle"-Devise der türkis-grünen Regierung mit ihrem Antrag für mehr Arbeitslosengeld im Nationalrat als Oppositionspartei mit diesem Anliegen bisher abgeblitzt.
Flüchtlingsfrage bleibt
Die arbeitslose Frau kritisiert, dass gerade Frauen, etwa Verkäuferinnen, nicht einmal auf ein Monatseinkommen von 1800 Euro im Monat kämen. Sie wünscht sich, als Arbeitslose gleich viel zu erhalten wie manche Asylberechtigte. Da bricht es aus ihr regelrecht heraus: "Das regt mich auf." Da ist sie jetzt wieder, die Frage, wie es die SPÖ mit der Flüchtlings- und Integrationspolitik hält. Auch dieses Thema ist durch die Corona-Krise in den Hintergrund geraten.
Wegen der Krise hat Rendi-Wagner auch die Auszählung der parteiinternen Urabstimmung verschoben. Seit Dienstag werden die extern verwahrten Abstimmungszettel gezählt und auch die online eingegangenen Antworten. Sie werden vor allem Auskunft darüber geben, ob die rote Basis Rendi-Wagner, selbst ein Kind der Kreisky-Ära der 1970er Jahre, noch ihr Vertrauen schenken. Am 6. Mai wird die Entscheidung verkündet. Der inhaltliche Erneuerungsprozess, der mit einem Zukunftskongress am 25. April neuen Schwung erhalten sollte, wird nach dem Verbot größerer Versammlungen frühestens im Herbst stattfinden. Die rote Zukunft muss warten.