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Die Deutschen kämpfen wieder für ihre Sprache. | Schweiz: Wie aus der "Mutter" das "Elter" wird. | Im Zentrum der Kritik stehen die Anglizismen. | Leipzig/Wien. Wird man im Jahr 2100 noch Deutsch sprechen? Die Kassandra-Rufe sind nicht weniger geworden, seit Deutschlands Außenminister Guido Westerwelle Deutsch zur "Sprache der Ideen" erklärt und der Europäischen Union den Kampf angesagt hat. | Was ist ein Ohrler?
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Denn geht es nach dem liberaldemokratischen Politiker, so soll das Deutsche innerhalb der europäischen Institutionen aufgewertet, ja sogar den führenden EU-Sprachen Englisch und Französisch gleichgestellt werden. Ein Dorn im Auge sind Westerwelle auch die immer wieder gescholtenen Anglizismen wie "Brainstorming" oder "Meeting", ohne deren Aneignung sich ein EU-Beamter deutscher Muttersprache heute gar nicht erst zum Dienst in Brüssel melden braucht. Wer kann denn dort schon etwas mit wenig charmanten Begriffen wie "Ideensammlung" oder "Treffpunkt" anfangen? Was begründete Zweifel in der Theorie aufkommen lässt, ob sich denn der "richtige Gebrauch von Sprache" überhaupt "von oben" verordnen lässt.
Vor einer ähnlichen Herkulesaufgabe stehen nun insbesondere jene Kräfte, die sich dem "Gender Mainstreaming", also der Gleichberechtigung der Geschlechter (in der Sprache) verschrieben haben. Hervorgetan haben sich in dieser Angelegenheit zuletzt die Schweizer, allen voran die Berner Stadtverwaltung, die von der Bundeskanzlei erlassene Leitlinien für eine geschlechtergerechte Nutzung der deutschen Sprache besonders eifrig interpretiert hat: Für große Aufregung hat hier beispielsweise das Vorhaben gesorgt, "bedenkliche Begriffe" wie Mutter und Vater durch den Neologismus "Elter" zu ersetzen. Deutsche Sprachpfleger zwischen Salurn und Flensburg sind empört. Ihr Argument: Weder das Französische noch das Deutsche kennen einen Singular für "Eltern". Das Englische hingegen schon: Hier heißt es schlicht und einfach "parent".
Jugend verändert Sprache
Doch damit nicht genug. Denn alles, was auch nur annähernd an Maskulina erinnerte, wurde neutralisiert: Das bekannte Benutzerhandbuch wurde somit zum "Bedienungshandbuch", die Fußgängerzone zur "Flanierzone" und die Arztpraxis - etwas sperrig - zur "Praxis für Allgemeinmedizin". Dem deutschen Außenminister erwiesen die Schweizer damit einen Bärendienst. Etwa, als man den in ihren Augen bedenklichen Begriff "Mannschaft" ausgerechnet durch den bereits weit verbreiteten Anglizismus "Team" ersetzte!
So weit wie die Berner Sprachkünstler will man in Österreich wiederum nicht gehen. Zwar hat das Bundeskanzleramt vor Jahren einen Leitfaden für "Geschlechtergerechtes Formulieren" herausgebracht, allerdings sind diese Vorgaben "nach innen gerichtet", wie Ingrid Löscher-Weninger, Leiterin der Abteilung für Gleichbehandlung am Ballhausplatz, sagt. Für eine Initiative, wie sie etwa in der Schweiz gestartet wurde, gebe es keine Bestrebungen. Die geltende Regelung reiche vollkommen aus, um das Weibliche in der Sprache "sichtbar zu machen", so Löscher-Weninger. Laut dem ministeriellen Leitfaden klingt das dann ungefähr so: "Die Schülerinnen und Schüler suchten ihre Meisterinnen und Meister auf den Schibrettern". Aber Papier ist geduldig.
Aber nicht jede "Sprachreform" ist ein Produkt der Obrigkeit, sondern auch der jungen Generation, wie wiederum der Hamburger Jugendexperte Bernhard Heinzlmaier im Gespräch mit der "Wiener Zeitung" erklärt: Freilich sei nicht zu leugnen, dass zahlreiche Worte wie "chillen", "covern", "cool" und "heavy" aus dem Englischen entlehnt sind, meint er. Aber es gebe auch tolle deutsche Neologismen, die sich möglicherweise genauso durchsetzen könnten. Als Beispiel nennt Heinzlmaier Wortschöpfungen wie "alken" (Alkohol trinken), "gruscheln" (Mischung aus "grüßen" und "kuscheln") oder "Brüllwürfel" (Lautsprecher).
"So etwas hat es schon immer gegeben", verweist der Sprachexperte auf die Studenten- und Gaunersprache des 19. Jahrhunderts und nennt die Begriffe "Pech haben", "blechen" oder "Katzenjammer" als Beispiel. Was damals als vulgär gegolten habe, sei nun fester Bestandteil des deutschen Vokabulars, erklärt Heinzlmaier. Interessant sei auch zu beobachten, wie sich etwa der Sinn bestimmter Termini über die Jahrhunderte verändert habe: Bedeutete das bei Jugendlichen beliebte Wort "geil" laut dem "Grimmschen Wörterbuch" von 1897 noch "lustig" oder "fröhlich", so verband man damit 80 Jahre später einen Begriff, der jemanden als "gierig nach sexueller Befriedigung" auswies, erzählt der Experte. Und bemerkenswert sei, dass das Wort "geil" heute positiv besetzt ist. Im Duden wird es mit "gut" oder "toll" übersetzt.
Glaubt man Heinzlmaier, dürfte also von der Jugend vorerst keine ernsthafte Gefahr für die deutsche Sprache ausgehen. "Jugendsprache war schon immer viel härter und drastischer. Wenn Sinnvolles übernommen wird, ist das in Ordnung, Anglizismen müssen allerdings nicht sein", meint dazu Holger Klatte, Sprecher des "Vereins Deutsche Sprache". Rund 32.000 Mitglieder hat die Vereinigung in Deutschland. Ihr Ziel: Die Rettung der deutschen Sprache. Leider gebe es in Deutschland nicht genug Loyalität für das Deutsche, klagt Klatte und führt diese Haltung auf die beiden Weltkriege und den damit verbundenen Niedergang des Deutschen als Wissenschaftssprache zurück. Denn während etwa in Frankreich die Sprache verfassungsrechtlich geschützt sei und vieles zur Abwehr fremder Wörter getan werde, sei man jenseits des Rheins negativen anglo-amerikanischen Einflüssen ausgeliefert.
Fruchtbringend seit 1617
Ähnlich sieht das auch Uta Seewald-Heeg, Vorstandschefin der "Neuen Fruchtbringenden Gesellschaft" in der thüringischen Stadt Köthen-Anhalt. Erst 2007 war die Vereinigung, die sich insbesondere den Kampf gegen die Anglizismen auf die Fahnen geheftet hat, gegründet worden. "Warum kann man statt E-Mail nicht auch E-Post sagen?", fragt sie im Gespräch mit der "Wiener Zeitung". "Oder Pauschaltarif statt Flatrate?" Immerhin zeigt sie sich überzeugt, dass sich solche Ersatz-Wörter mit der Zeit durchsetzen könnten. Das sei schon einmal gelungen, als etwa die Vorläuferin ihres Vereins, die 1617 gegründete "Fruchtbringende Gesellschaft", zahlreiche französische Begriffe - damals galten Französisch und Latein als "lingua franca" - aus dem Deutschen verdrängte. Denn wer weiß heute noch, dass etwa die Worte "beobachten" (observieren), "Abstand" (Distanz), "Leidenschaft" (Passio) oder "Augenblick" (Moment) allesamt im 17. Jahrhundert erfunden wurden? Dabei wurde die Liste an Neologismen laufend erweitert. So sind etwa auch die Begriffe "Umschlag" (Kuvert) und "Anschrift" (Adresse) Erfindungen des 19. Jahrhunderts. Allein ein Wort hat sich nie durchgesetzt: "Meuchelpuffer", das wiederum die französische "Pistole" ersetzen sollte. Es bleibt zu hoffen, dass Westerwelle verbal nicht danach greifen wird, um seine Mission zur Rettung der deutschen Sprache auf EU-Ebene zu erfüllen. Oder sollte man doch besser "Sendung" sagen?
Wissen: Fruchtbringende Gesellschaft
Sprachvereine und organisierte Traditionalisten, die sich den Schutz der Sprache auf die Fahnen geschrieben haben, hat es bereits im 17. Jahrhundert gegeben. Gründer der 1617 in Leben gerufenen "Fruchtbringenden Gesellschaft" war Fürst Ludwig von Anhalt-Köthen. Als Vorbild diente ihm die italienische Accademia della Crusca, als deren erstes deutsches Mitglied er schon Jahre zuvor aufgenommen worden war.
Die "Fruchtbringende Gesellschaft" verfolgte unter anderem das ehrgeizige Ziel, Deutsch sowohl als Sprache von Gelehrten als auch von Dichtern zu propagieren. In seiner Blütezeit (1640 bis 1680) hatte der sogenannte "Palmenorden" über 500 Mitglieder, darunter Gryphius, Schottelius, Opitz und Gueintz.