Dass sein Land die elfte EU-Ratspräsidentschaft gleich zu Beginn derart vermasseln würde, hatte Kommissionspräsident Romano Prodi in seinem schlimmsten Alptraum nicht erwartet. Zwar ist der Präsident der "Regierung" der EU dazu verpflichtet, ausschließlich Gemeinschaftsinteressen zu wahren. Aus "Staatsraison", wie es heißt, hätte es Prodi sicherlich verstanden, einen offenen Konflikt mit Italiens umstrittenem Premier Silvio Berlusconi zu vermeiden. Seit dem Auftritt des Neo-Ratspräsidenten im Europäischen Parlament befindet sich Prodi aber in einer besonders misslichen Lage.
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Das italienische Führungsduo, das im Augenblick die Geschicke der EU bestimmt, ist wahrlich nicht füreinander bestimmt. Auf Berlusconis Antrittsbesuch im EU-Parlament in Straßburg folgte der Gegenbesuch der Kommission bei der römischen Regierung. So will es die Tradition in der EU. Nur mit versteinerter Miene ließ sich - der nicht gerade als medienwirksam geltende - Kommissionspräsident Prodi mit Ratspräsident Berlusconi fotografieren.
Prodi hat es bisher vermieden, den Auftritt Berlusconis zu kommentieren. Der in der "Süddeutschen Zeitung" zitierte Ausspruch Prodis "Verglichen mit Berlusconi, war Goebbels nur ein Kind" wird offiziell dementiert. Diplomatisch wird nur betont, die Kommission sehe ihre Aufgabe darin, ihr Möglichstes zu tun, um zu einem Gelingen der italienischen Ratspräsidentschaft beizutragen. Eine institutionelle Rivalität zwischen Prodi und Berlusconi gebe es nicht.
Die Intimfeindschaft zwischen den beiden Politikern ist innenpolitisch begründet. Romano Prodi war mit Hilfe eines Mitte-Links-Bündnisses (dem ersten der Nachkriegsgeschichte) von Mai 1996 bis Oktober 1998 Regierungschef in Rom. Nachdem er über einen der unzähligen Misstrauensanträge gestürzt war, wurde er von Massimo d'Alema, dem seinerzeitigen Chef der ehemaligen Kommunisten, abgelöst. D'Alema schlug Prodi 1999 als neuen Kommissionspräsidenten in Brüssel vor - und entledigte sich damit eines seiner Konkurrenten in Rom. In der Hoffnung auf politische Normalität nach dem seit Juni 2001 regierenden Berlusconi-Kabinett setzt bereits jetzt die oppositionelle Linke erneut auf Prodi als Spitzenkandidat bei der nächsten Parlamentswahl (regulärer Termin ist 2006). Berlusconi hatte Prodi denn auch erst vor kurzem erneut der Korruption bezichtigt. Nach dem Motto: "Angriff ist die beste Verteidigung."
Dass Prodi sich auf dem glatten Parkett der EU nicht wohl fühlt, diesen Eindruck vermittelt der bedächtige Wirtschaftsprofessor Beobachtern seit seinem Amtsantritt als Kommissionspräsident. "Prodi ist eine Katastrophe", urteilt so mancher EU-Spitzenbeamter hinter vorgehaltener Hand. Nicht nur seine rhetorischen Fähigkeiten und Fremdsprachenkenntnisse ließen zu wünschen übrig, heißt es. Prodi sei in heiklen politischen Situationen immer wieder in Fettnäpfchen getreten, wird ihm vorgeworfen. So brachte er sich bereits als sein eigener Nachfolger ins Spiel und bezeichnete den Euro-Stabilitätspakt gegenüber der französischen Tageszeitung "Le Monde" als "stupide". Freilich ist der Währungspakt, der die so genannten "Maastricht-Kriterien" festschreibt, auch unter Ökonomen umstritten; doch Prodi selbst hat das Regelwerk mitunterzeichnet.
Neubesetzung
Während die Ablöse Prodis an der Spitze der EU-Kommission indes fix scheint, gilt gerüchteweise Luxemburgs Premierminister Jean-Claude Juncker als sein Nachfolger. Ins Spiel gebracht wurde in der Vergangenheit auch Österreichs Bundeskanzler Wolfgang Schüssel.
Aus der Prodi-Kommission ausscheiden dürften nächstes Jahr auch Österreichs Agrarkommissar Franz Fischler, der britische Vizepräsident der Kommission, Neil Kinnock (zuständig für administrative Reform), der für die Unternehmen und Informationsgesellschaft verantwortliche Finne Erkki Liikanen und der italienische Wettbewerbskommissar Mario Monti. Alle vier Kommissare sind bereits die zweite Amtsperiode in ihrer Funktion.
Als sicher gilt auch das Ausscheiden von Außenkommissar Chris Patten, dessen Amt und jenes des Außenpolitik-Beauftragten (derzeit Javier Solana) zu einem neuen EU-"Außenminister" zusammengelegt werden sollen. Die Spanierin Loyola de Palacio (Verkehr und Energie) hat angekündigt, dass sie nur eine Amtszeit als Kommissarin zur Verfügung stehe. Wenig Chancen auf Verlängerung ihrer Funktionsperiode werden zudem der deutschen Haushaltskommissarin Michaele Schreyer eingeräumt; sie wurde wegen angeblichen Missmanagements heftig vom EU-Parlament kritisiert.
Die Nominierung der neuen Kommission erfolgt nach den Europa-Wahlen im Juni nächsten Jahres. Das Kollegium soll dann im November antreten.