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Die Leitl-Front

Von Clemens Neuhold

Politik
Ganz oben debattierten Waiglein, Felderer, Alesina, Keuschnigg, Leitl, wie die Schulden - ohne neue Steuern - sinken können.
© WKÖ/Leithner

Wirtschaftskammerboss munitioniert sich mit Experten auf und will die ÖVP damit wissenschaftlich unterfüttern.


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Wien. Ökonomen werden von Politikern gerne in den Himmel gehoben, wenn ihre wissenschaftliche Expertise die eigenen Ansichten stützt. Christoph Leitl hob am Donnerstag den italienischen Wirtschaftswissenschaftler Alberto Alesina in den Himmel, konkret in die "Skylounge" der Wirtschaftskammer. Leitl ist nicht nur deren Boss, sondern als ÖVP-Wirtschaftsbundpräsident ganz vorne an der Front gegen die SPÖ-Steuerpläne. Da wirken die Ausführungen Alesinas wie Balsam auf die Wunden aus dem großkoalitionären Stellungskrieg.

Anti-Krugman

Alesina ist in der Fachwelt eine Ikone unter jenen Ökonomen, die einen schlankeren Staat propagieren. Er gilt als ein Gegenspieler des populären Ökonomen und "New York Times"-Kolumnisten Paul Krugman. Der Harvard-Absolvent Alesina will mit seinen Studien belegt haben, dass steigende Schulden in der Krise kein probates Mittel für Wachstum sind, wie das Keynesianer à la Krugman vertreten. Laut Alesina hat Sparen das Wachstum historisch gesehen viel stärker beflügelt. Seine Begründung: Das Signal, dass Ausgaben und Steuern sinken, stärke das Vertrauen in die Zukunft. Versuche der Staat stattdessen mit neuen Ausgaben nachzuhelfen, gerate die Steigerung der Ausgaben außer Kontrolle und die Konsumenten wie auch die Firmen würden das Vertrauen in die Zukunft verlieren. Die Sparvorschriften der EU für Krisenländer wie Griechenland oder Spanien stützten sich nicht zuletzt auf Studien von Alesina.

"Würden wir die Staatsausgaben um nur ein Prozent senken, hätten wir in drei Jahren das Volumen, um den Eingangssteuersatz von 36,5 Prozent auf 25 Prozent zu senken. Stattdessen erleben wir eine ,Eat the rich‘-Debatte, die uns Wachstum kostet. Das zeigt Alesina", spannt Leitl den Bogen nach Österreich und verpackt eine weitere deutliche Absage an Reichensteuern.

Der Chef des Instituts für Höhere Studien (IHS), Christian Keuschnigg, schlägt in dieselbe Kerbe: Das Defizit durch höhere Steuern zu senken, schwäche die Basis für das Wirtschaftswachstum. Dadurch sänken die Steuereinnahmen langfristig. Als Konsequenz, meint er sinngemäß, brauche es weitere Steuern.

Ex-IHS-Chef Bernhard Felderer meint, Steuererhöhungen könnten schon einen gewissen Beitrag für gesündere Staatsfinanzen leisten, aber nur solche, die das Wachstum nicht schwächen. Felderer nennt die Grundsteuer als Beispiel. Eine Vermögenssteuer wäre laut Felderer ein "Desaster".

"Ermüdende Debatte"

Mit Harald Waiglein ist auch ein Sektionschef im Finanzministerium (und früherer Wirtschaftsressort-Leiter dieser Zeitung) mit am Podium. In der Steuerdebatte bezieht er als Beamter keine Position, doch er gibt zu, von der Debatte "ermüdet" zu sein. "Alle reden über die Lohnsteuer. Aber das ist der falsche Ansatz." Rechne man die Dienstgeberbeiträge hinzu, machten die Sozialabgaben bereits drei Viertel der gesamten Abgaben aus, die Lohnsteuer nur ein Viertel. "Wenn ein Großteil der Abgaben die Sozialversicherung betreffen, gibt es bei der Lohnsteuer wenig Spielraum." In Österreich fehle eine grundsätzliche Debatte, welche Leistungen der Staat bringen solle und welche nicht. Dass die Neuverschuldung in Österreich und Europa sinken müsse, darüber herrscht Einigkeit am Podium. Waiglein rechnet die Schulden der Privaten und des Staates zusammen und kommt auf ähnliche Werte wie vor der Weltwirtschaftskrise Ende der 20er Jahre. "Da könnte man schon die Augenbrauen heben." Also Ausgaben runter, sind sich Leitls Ökonomengäste einig.

Enfant terrible

Das Teuferl in der Himmelbar spielt der Wifo-Ökonom und bekennende Keynesianer, Stephan Schulmeister. "Alesina wiederholt Rezepte und Diagnosen der letzten 20 Jahre - mit katastrophalen Folgen." Er verweist auf Krisenopfer wie Griechenland und die soziale Situation dort. Alesina kontert mit Irland: Dort sei die Wirtschaft nach großen Ausgabenkürzungen wieder gewachsen, ebenso in Portugal. Fazit: Auch in der Ökonomie kann am Schluss jeder recht haben - genauso wie in einer Regierung, nur dort kann nicht endlos debattiert werden.