)
Zu Besuch bei der Volksgruppe der Vedda, den letzten Ureinwohnern Sri Lankas, die in einem Nationalpark im Zentrum des Inselstaates im Indischen Ozean leben - und versuchen, ihre Traditionen zu bewahren.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 9 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Uruwarige Wannilaetto wirkt traurig. Der 67-jährige Mann mit den langen grauen Haaren und einem dichten weißen Vollbart ist Chef der indigenen Volksgruppe der Vedda, der letzten Ureinwohner Sri Lankas, deren Population heute nur mehr ein paar hundert Menschen ausmacht. "Meine größte Angst ist, dass ich nicht in der Lage sein werde, den Untergang der Kultur meines Volkes zu verhindern", sorgt sich der alte Mann. Uruwarige Wannilaetto lebt mit seinem Clan, der aus einigen wenigen Familien besteht, in den Wäldern des Maduru Oya Nationalparks im Zentrum Sri Lankas.
Früheres "Geistervolk"
Die Vedda, die heute nur mehr in sechs der insgesamt 25 Distrikten des Landes leben, sind die älteste Ethnie Sri Lankas. Woher die Jäger und Sammler kommen und wann sie erstmals auf der Insel im Indischen Ozean auftauchten, ist nicht restlos geklärt. Klar ist, dass sie bereits lange in den dichten Dschungelwäldern lebten, als sich die ersten Bewohner Südindiens vor über 3000 Jahren aufmachten, das Land zu besiedeln.
In den auf Pali verfassten Chroniken von Mahavamsa, die die Geschichte Sri Lankas ab dem 6. Jahrhundert vor Christus beleuchten, ist neben den Volksgruppen der Singhalesen, Menschen indoarischer Herkunft, und den aus Indien stammenden Tamilen auch von einem "Geistervolk" die Rede, welches in den Wäldern des Dschungels lebt. Bei den sogenannten Yakshas dürfte es sich um die Vorfahren der heutigen Vedda handeln.
"Unsere Vorfahren haben sich in die Wälder zurückgezogen und dort hat unser Volk stets im Einklang mit der Natur gelebt", entsinnt sich Uruwarige Wannilaetto der frühen Tagen seiner Ahnen. Bereits im ausgehenden 19. Jahrhundert änderte sich die Situation der Vedda dramatisch. Viele Stämme wurden dazu gedrängt, in Dörfern zu leben und sich zu assimilieren. Ein Jahrhundert später war es vor allem die radikale Rodungspolitik zur Gewinnung landwirtschaftlicher Nutzflächen, die den Vedda ihren Lebensraum raubte.
"Heute sind die Probleme noch viel schwerwiegender", ist sich Uruwarige Gunabandila, der Sohn des Vedda-Chefs, sicher. Mit seinen 44 Jahren gehört er bereits zu den alten Waisen des Clans. Vedda heiraten mit etwa fünfzehn Jahren, bald darauf folgen die ersten Kinder. Es ist keine Seltenheit, mit Anfang 40 bereits mehrfacher Großvater zu sein. "Viele Jugendliche möchten in die Dörfer ziehen, um dort eine Schule zu besuchen", erzählt Uruwarige Gunabandila mit einer Mischung aus Verständnis und Sorge.
Vedda-Männer tragen ausschließlich einen Wickelrock um die Hüften, gehen stets barfuß und haben immer eine Axt auf der Schulter. "Unsere Kinder dürfen so aber nicht in die Schule gehen", empört sich Uruwarige Gunabandila. "Stattdessen tragen sie dann Shirts und Hosen und haben ihre Kultur bald vergessen", fügt er hinzu. Tatsächlich lassen sich entlang der Straßen zu den nächsten Dörfern eigenwillige Szenen beobachten. Jugendliche mit schwarzen Sonnenbrillen und eng geschnittenen Bluejeans sitzen auf Mopeds und diskutieren mit prähistorisch anmutenden Männern mit langen Bärten und einer Eisenaxt in der Hand.
Viele Vedda marschieren traditionell gekleidet durch die Straßen der nahe gelegenen Städte. Manche wollen nur Einkäufe erledigen und Bekannte besuchen, andere entscheiden sich jedoch irgendwann für ein Leben im modernen Sri Lanka und verlassen ihren Clan und den Wald.
Als zukünftiger Chef der Vedda weiß Uruwarige Gunabandila, dass es an ihm liegt, ob die Kultur seines Volkes in der sich rasch ändernden Moderne überhaupt eine Überlebenschance hat. Er hat, ebenso wie seine Geschwister, niemals eine Schule besucht und spricht kein Englisch und kaum Singhalesisch. Stattdessen hat ihm sein Vater alles über das Leben der Ahnen, über die Natur und die Geister beigebracht. Der Clanchef ist automatisch immer auch der Medizinmann.
Umgang mit Natur
"Warum in die Schule gehen, wenn einem die Natur alles beibringen kann? Warum Raketen bauen und damit zum Mond fliegen?", fragt der alte Vedda-Chef und lacht verlegen. Sein Sohn ist sich bewusst, dass man die Moderne nicht aufhalten kann, ja gar nicht aufhalten soll. Er pocht jedoch darauf, dass es wichtig ist, dass die Menschen den Umgang mit der Natur nicht verlieren und die "modernen" Menschen sich ihrer Ahnen erinnern. "Die Menschen verstehen heute den Wert der Natur nicht mehr", sagt er. Umweltzerstörung, Plastikmüll, die Rodung der Wälder, das alles mache den Vedda zu schaffen.
Mittlerweile hat die Regierung den Indigenen einen Schutzraum im Nationalpark errichtet. Nur den Vedda ist es gestattet, dort zu leben, zu jagen und zu sammeln. In vielen Landesteilen mit einer Vedda-Minderheit war die Errichtung einer Schutzzone im Dschungel erst gar nicht mehr möglich. Im Maduru Oya Nationalpark hingegen müssen Touristen und auch Einwohner Sri Lankas den Behausungen der Clans fern bleiben.
Jagender Vegetarier
Zusammen mit Uruwarige Sudubandila, einem älteren Clanmitglied, dessen langer Bart vom vielen Betelnusskauen bereits rot geworden ist, macht sich Uruwarige Gunabandila immer wieder daran, den Kleinsten des Clans beizubringen, wie man Pflanzen sammelt, Tiere jagt, Wurzeln sucht, Fallen stellt, Feuer macht oder einen Unterstand baut.
Viele Eltern haben Jobs angenommen, versuchen in der Umgebung etwas dazuzuverdienen. Nur ein kleiner Teil des Clans bleibt tatsächlich ausschließlich im Nationalpark und hat Zeit zum Sammeln und Jagen. Für die beiden Älteren ist es eine unerlässliche Aufgabe, den Jungen Tradition und Kultur des Volkes zu vermitteln. Hin und wieder zeigen sie ihr Können auch interessierten Singhalesen und Touristen in dem nahe gelegenen Dorf Dambana, auch wenn sie diesen gegenüber vorerst skeptisch bleiben.
"Viele Fremde wollen nur unterhalten werden, sie haben gar kein Interesse an unserer Kultur", beklagen beide. Umso mehr freuen sie sich, wenn sie auf echte Sympathie und Neugier treffen. Schließlich ist der Erhalt der Vedda-Tradition unweigerlich mit dem Verständnis der Außenstehenden verbunden - und so scheint es, als ob die beiden einen Balanceakt zwischen Tourismusattraktion und Kulturverständnis absolvieren müssen.
Vieles hat sich im Leben der letzten Ureinwohner Sri Lankas geändert, so auch die Religion. Obwohl sie immer noch ein animistisch geprägtes Weltbild haben, sind viele Veddas auch gläubige Buddhisten - und das wirkt sich zunehmend auch auf den Alltag aus. Uruwarige Wannilaetto ist bekennender Vegetarier. Trotzdem hofft er, dass auch seine Ururenkel noch auf die Jagd gehen werden. Doch seine Sorgen um den Erhalt der Kultur bleiben: "Unsere Vorfahren haben sich so lange wie möglich vor der Welt versteckt. Doch irgendwann hat die Welt uns entdeckt. Jetzt müssen wir lernen, damit umzugehen".
Michael Biach, geboren 1979, lebt in Wien und arbeitet seit 2005 im Medienbereich. Er ist Autor und Reportagefotograf und befasst sich mit kulturellen und sozialen Aspekten der Gesellschaft.
www.michaelbiach.com