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Die letzten Nato-Verweigerer

Von Alexander Dworzak

Politik

Von den EU-Ländern gehören künftig nur Irland, Malta, Zypern und Österreich nicht der Nato an.


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Das Grüppchen, zu dem Österreich zählt, wird immer kleiner: Bereits vor Russlands Invasion in der Ukraine gehörten 21 von 27 EU-Ländern der Nato an. Seit Kriegsbeginn im Februar sehen Finnland und Schweden ihre Sicherheit nur noch als vollständig gewährleistet an, wenn sie Teil des Verteidigungsbündnisses werden. Beim Nato-Gipfel in Madrid diese Woche startete offiziell das Aufnahmeverfahren für die beiden nordeuropäischen Länder.

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Österreichs Bundeskanzler Karl Nehammer will eine Nato-Debatte hierzulande nicht einmal aufkommen lassen, nennt die Mitgliedschaft keine "Variante des Denkens". Sind die Beitritte von Schweden und Finnland vollzogen, bleiben neben Österreich nur noch drei weitere militärisch bündnisfreie beziehungsweise neutrale Staaten in der EU übrig: Irland, Malta und Zypern. Drei Länder in Peripherielagen der Union, im äußersten Nordwesten, Süden und Südosten. Drei Inseln - und das Binnenland Österreich in der Mitte Europas.

Zu Hitlers Tod kondoliert

Die Gründe, warum ausgerechnet diese Staaten nicht der Nato angehören, sind vielfältig. Die Republik Irland ist seit ihrer Unabhängigkeit vom Vereinigten Königreich im Jahr 1921 neutral. So auch im Zweiten Weltkrieg. Damals ging die Neutralität sogar so weit, dass Regierungschef Eamon de Valera nach Hitlers Selbstmord in der deutschen Gesandtschaft erschien, um sein Beileid auszudrücken, schreibt der Militärhistoriker Winfried Heinemann in seinem Buch "Vom Zusammenwachsen des Bündnisses". De Valera war auch nicht bereit, nach Kriegsende die Unverletzlichkeit der bestehenden Grenzen anzuerkennen, was Voraussetzung für die Gewährung weiterer Hilfen nach dem Marshallplan gewesen wäre. Denn Irland strebte weiter die Wiedervereinigung mit Nordirland an.

Das Karfreitagsabkommen 1998 sorgte für Entspannung, nicht aber Lösung dieses Konflikts. Seit dem Brexit ist die Sorge vor dem erneuten Aufflammen der Gewalt gestiegen. Auf die Verteidigungsausgaben der Republik Irland hat das aber keinen Einfluss: Sie lagen 2020 bei 0,3 Prozent des Bruttoinlandsprodukts (BIP) - so wenig wie in keinem anderen EU-Land.

Angesichts des Kriegs in der Ukraine kündigte Verteidigungsminister Simon Coveney an, der Wehretat werde in den kommenden Jahren um 500 Millionen Euro erhöht; ein Plus von 50 Prozent. Zugleich erklärt Coveney, Irland werde "in nächster Zeit" nicht der Nato beitreten.

Bereits seit 1999 kooperiert Irland aber bei der "Partnerschaft für den Frieden" (PfP) und es stellt Soldaten für die multinationale KFOR-Truppe im Kosovo. Auch in Afghanistan waren irische Truppen an der Seite von Soldaten aus Nato-Ländern, bildeten beispielsweise lokale Sicherheitskräfte aus. Geschätzt wird in der Nato etwa, dass Irland über "Erfahrung von Weltklasseformat" bei der Bekämpfung unkonventioneller Spreng- und Brandvorrichtungen besitze. Dazu zählen Paket- oder Kofferbomben - Erbe des Nordirlandkonfliktes.

Positive Worte findet die Nato auch für Malta, ebenfalls Mitglied der PfP. Es trat dem Programm bereits 1995 bei, setzte die Mitgliedschaft jedoch schon ein Jahr darauf aus und reaktivierte diese 2008. An dem Inselstaat mit seiner halben Million Bürger wird weniger die Verteidigungsfähigkeit geschätzt, es sind sogenannte Soft-Power-Aspekte, etwa Expertise zu arabischer Kultur. Algerien und Libyen sollten auch als Garantiemächte für die 1987 in der Verfassung verankerte Neutralität dienen, gemeinsam mit Italien und Frankreich. Doch nur die Regierung in Rom erklärte sich zu diesem Schritt bereit. Nichtsdestotrotz sind die Verteidigungsausgaben traditionell gering: 2020 betrugen sie 0,6 Prozent des BIP, was den zweitniedrigsten EU-Wert hinter Irland ergab.

Malta ist auch nicht Teil von Pesco, der EU-Kooperationsplattform für vertiefte militärische Zusammenarbeit zwischen Unionsländern. Nachdem die Dänen in einer Volksabstimmung Anfang Juni ihren Verteidigungsvorbehalt aufgegeben haben, bleibt Malta als einziges EU-Land bei Pesco außen vor. Man wolle sehen, wie sich die Plattform entwickle, erklärte der bis März amtierende sozialdemokratische Verteidigungsminister Evarist Bartolo in einem Gastkommentar in der "Times of Malta".

Er ortet eine polarisierte Welt seit dem Krieg in der Ukraine. Das geografisch exponierte Malta müsse mit Europa, Asien und Afrika auskommen - ein Fingerzeig, dass die Sympathie mit der Ukraine in Europa deutlich größer ist als in anderen Teilen der Welt. Als Instrument für gute Beziehungen erachtet Malta die Neutralität.

Angst vor zweitem Syrien

Gute Beziehungen gibt bis heute nicht zwischen den Volksgruppen auf Zypern. Noch immer ist die Insel geteilt zwischen der Republik im Süden und einem nur von der Türkei anerkannten Territorium im Norden. Der Streit um Zypern wird zwischen zwei Nato-Mitgliedern ausgetragen: Griechenland und der Türkei. Die Türkei blockiert auch die Teilnahme Zyperns an der "Partnerschaft für den Frieden". Im griechischsprachigen Teil befürwortet der konservative Präsident Nicos Anastasiades - wie die Mehrheit der Parlamentsparteien - eine Anbindung an PfP; große Ausnahme ist die im europäischen Vergleich starke postkommunistische Akel. Damit ist Zypern das einzige EU-Land, das weder Mitglied der Nato ist noch bei PfP kooperiert. Die Nato schweigt zu dem Thema. Auf ihrer Webseite findet sich keine Zeile über die Beziehungen zu Zypern.

Nato-Befürworter im 1,2-Millionen-Land argumentieren unter anderem, die türkische Nähe zu Russland könnte Zypern zu einem Schlachtfeld verwandeln. Von einem zweiten Syrien ist gar die Rede in einem Kommentar in "Cyprus Mail". Das klingt gar weit hergeholt. Doch der dortige Krieg ist nahe, vom Kloster Apostolos Andreas sind es nur 235 Kilometer bis Aleppo.