Was wie eine große Antikorruptions-Kampagne aussieht und auch international als solche gelobt wird, ist in Wirklichkeit ein beinharter Kampf um die Vorherrschaft in der Regierungspartei Nicaraguas.
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Seit dem Amtsantritt von Enrique Bolaños als Staatschef von Nicaragua im Jänner des Vorjahres kommen immer neue Enthüllungen über Missbrauch von Staatsgeldern und weitverzweigte Korruption durch seinen Vorgänger Arnoldo Alemán und dessen Freundeskreis ans Tageslicht. An die 100 Mill. Dollar soll der frühere Präsident jenes Landes, das zusammen mit Haiti am untersten Rand der Armenstatistik Amerikas angesiedelt ist, unterschlagen haben. Insgesamt ist aber der Verbleib von 600 Mill. Dollar, die durch Privatisierungen in den Staatssäckel flossen, ungeklärt.
Der Poker um die Machtablöse
Die ganze fünfjährige Amtsperiode diente Bolaños dem schwergewichtigen Arnoldo Alemán als Vizepräsident - und als Vorsitzender der Antikorruptions-Kommission. In dieser Zeit sind ihm keine Unregelmäßigkeiten bei der Verteilung der Staatsgelder aufgefallen. Erst bei seiner Amtseinführung am 10. Jänner 2002 sprach der neue Regierungschef von "moralischer Erneuerung", von Kampf gegen Korruption und Machtmissbrauch. Das ganze vergangene Jahr stand dann unter dem Zeichen schrittweiser Enthüllungen über den Aufbau einer unglaublichen Betrugsmaschinerie durch Arnoldo Alemán und seine Getreuen. Doch der Ex-Präsident fühlte sich vor strafrechtlicher Verfolgung sicher. Durch eine Verfassungsänderung im Rahmen des so genannten "Paktes", eines Abkommens zwischen Alemán und Sandinistenführer Daniel Ortega, wird jeder Staatschef nach dem Amtsende automatisch Abgeordneter auf Lebenszeit. Ganz offensichtlich eine Rechtsbeugung in eigener Sache: Alemán wusste, was auf ihn zukommen kann - und Ortega sah sich mit einer Klage seiner Stieftochter Zoilamérica wegen sexuellen Missbrauchs konfrontiert.
Schon im März des Vorjahres hatte eine mutige Richterin die Aufhebung der parlamentarischen Immunität des ehemaligen Präsidenten verlangt, um ein Strafverfahren einleiten zu können. Doch die "Arnoldistas" - Alemáns Anhänger - kontrollieren die Hälfte des Abgeordnetenhauses und konnten dadurch ihren Chef lange Zeit schützen. Erst Mitte Dezember sprach sich nach einem krimireifen Manöver eine hauchdünne Mehrheit - 47 zu 46 Stimmen - für eine Aufhebung der Immunität Alemáns aus. Nun konnten die Prozesse beginnen. In zwei Fällen wurde der frühere Staatschef bereits verurteilt (die Urteile sind allerdings noch nicht rechtskräftig) und befindet sich derzeit auf einer seiner zahlreichen Haciendas unter Hausarrest. Doch sang- und klanglos wurden mittlerweile alle anderen in Zusammenhang mit dem Korrumptionssumpf der Alemán-Administration Inhaftierten wieder freigelassen; nur Alemáns Intimus Byron Jérez, ehemaliger Direktor der staatlichen Einnahmens-Behörde, ist rechtmäßig verurteilt.
Arnoldo Alemán hält "seine" Partei, die Liberalen, fest in der Hand: 45 liberale Abgeordnete stehen fest auf seiner Seite, nur 9 halten zu Bolaños, so dass sich dieser immer wieder gezwungen sieht, den sandinistischen Erzfeind Ortega um die Unterstützung seiner 38 Abgeordneten zu bitten. Alle Versuche des gegenwärtigen Staatschefs, in seiner eigenen Partei eine Mehrheit zu erzielen, sind bisher gescheitert. Nicht einmal die Korruptionsanklagen gegen Alemán konnten dessen Position erschüttern. Dieser brachte kürzlich die Antikorruptions-Kampagne seines Amtsnachfolgers auf einen prägnanten Punkt: "Dieser Alte (Bolaños; Anm.) will mir ja nur die Partei wegnehmen".
Die Sandinisten auf Standortsuche
Die Sandinistische Befreiungsfront (FSLN), seit ihrer Wahlniederlage 1990 die zweite politische Kraft im Lande, steht im Vorfeld eines Parteikongresses am 3. und 4. Mai, der der Frage "Wahlstrategie und Bündnispolitik" gewidmet ist. Hier sollen bereits die Weichen für die Kommunalwahlen Ende 2004 und die Präsidentschaftswahlen zwei Jahre später gestellt werden. An der Parteibasis herrscht ein starker Wunsch nach Veränderung, doch hält das Führungsduo Daniel Ortega - Tomás Borge (siehe nebenstehendes Interview) immer noch straff die Zügel in der Hand.
"Viele von uns wollen ein neues Führungsteam, doch findet sich niemand, der neben Daniel Ortega um den Posten des Generalsekretärs kandidieren will", so ein nicht genannt werden wollender FSLN-Veteran. Alejandro Martínez Cuenca, Außenhandelsminister der sandinistischen Revolutionsregierung der 80er-Jahre, lässt seit kurzem ein Dokument über eine neue Wahlstrategie der Sandinisten zirkulieren, in dem er die Durchführung echter parteiinterner Vorwahlen und eine breite Bündnispolitik vorschlägt und seiner Partei unter anderem das "Unterschätzen der eigenen Fehler" vorwirft. Der Parteikongress Anfang Mai wird zeigen, ob seine Vorschläge auch tatsächlich ernst genommen werden.
Parteichef Ortega zeigt auch nach drei verlorenen Wahlen keine Bereitschaft zu einer umfassenden personellen Erneuerung der FSLN. Er setzt nunmehr auf den "Lula-Effekt": Auch der brasilianische Arbeiterführer habe erst im vierten Anlauf den Sprung ins Präsidentenamt geschafft, so Ortega, der schon nach dem Sturz der Somoza-Diktatur 1979 elf Jahr lang die Regierungsgeschäfte leitete.