Autorin: "Oberster Abgesandter einer Gegeninquisition." | DDR-Bürgerrechtler verteidigt Kritik an Stasi-Diktatur. | Berlin. Unwählbar: Das ist für viele in der Linkspartei der Präsidentschaftskandidat Joachim Gauck. Zwanzig Jahre sind seit der friedlichen Revolution vergangen, am 3. Oktober 1990 vereinigten sich die DDR und die BRD.
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Doch nach wie vor sind die Emotionen mitunter groß, wenn es um Ost und West geht: Der Ostdeutsche Gauck trage nicht dazu bei, dass sich Ossis und Wessis einander annähern, wirft etwa die Autorin Kerstin Decker in der "taz" dem einstigen Chef der Stasi-Unterlagenbehörde vor. Es sei der Eindruck geblieben, "hier den obersten Abgesandten einer Gegeninquisition zu haben". Das Volk sei plötzlich ein Volk von Stasi-Spitzeln gewesen, "alle DDR-Vergangenheit reduziert auf Stasi-Vergangenheit". Freilich lässt auch der Klubchef der Linkspartei, Gregor Gysi, kein gutes Haar an Gauck. Und Gauck kontert: "Während Gysi im guten Einvernehmen mit meinen Diktatoren lebte, war Gauck Teil der Friedensbewegung."
Den 70-jährigen Gauck auf seine ehemalige Funktion in der Stasi-Unterlagenbehörde zu reduzieren, ist genauso kurz gegriffen wie Verweise auf seine Herkunft. Deutschland brauche auch keinen "Quoten-Ossi", sagt der Historiker Paul Nolte. Deutschland aber brauche eine Neuerung der Demokratie - und dazu könne der Intellektuelle Gauck gut beitragen.
"Man hört ja öfter Sätze wie: Was bringt mir die Demokratie, wenn ich seit drei Jahren arbeitslos bin? Da müssen wir aufpassen. Gauck ist das richtige Gegenmittel, weil er emotional gut vermitteln kann: Demokratie ist ein Wert für sich."
Doch schwören die Parteien ihre Wahlleute in der Bundesversammlung darauf ein, jenen Kandidaten zu wählen, für den sie schließlich nominiert worden sind. So ist die Wahl zwar geheim, de facto aber so gut wie vorgegeben - auch wenn nicht alle Wahlleute der Grünen und Sozialdemokraten mit der konservativen Ader Gaucks einverstanden sind oder alle Liberalen und Konservativen mit dem Wunschkandidaten der Kanzlerin, Christian Wulff.
Debatte um Volkswahl
Während die zwei ehemaligen Präsidenten Richard von Weizsäcker und Roman Herzog dafür eintreten, dass die Delegierten tatsächlich ohne Druck der Parteien abstimmen sollten, wird andernorts gleich ganz über den Wahlmodus diskutiert: Warum soll nicht, wie in Österreich, das Volk den Präsidenten wählen? Die Bundesrepublik hatte anfänglich zu verhindern versucht, den Präsidenten schwach zu halten: Die Erfahrungen mit starken Reichspräsidenten der Weimarer Republik waren keine guten. Heutzutage spreche nichts mehr gegen eine Direktwahl, meint Historiker Nolte. "Man muss aber klar sagen: Auch wenn Wahlleute wählen, ist das nicht weniger Demokratie."
"Eine Direktwahl würde das Staatsoberhaupt mit Erwartungen an Macht und Einfluss versehen, die es nicht einlösen könnte", sagt Kandidat Wulff. "Der Bundespräsident ist Hüter der Verfassung und Repräsentant des Staates, gestaltet aber nicht die Tagespolitik."
Abwiegender ist hier Gauck: Falls sich eine Mehrheit in der Bevölkerung für eine Direktwahl fände, "muss man darüber reden".