Zum Hauptinhalt springen

Die Liste der Schutzgebiete ist unvollständig: 40 fehlen noch

Von Veronika Gasser

Politik

Wälder, Wiesen, Berge, Seen, Flüsse sowie deren spezifische Fauna und Flora sind für die Österreicher und den heimischen Tourismus wichtig. Einerseits müssen die Besonderheiten leicht zugänglich und erlebbar sein, andererseits sollen Vielfalt der Arten und der Landschaften erhalten bleiben. Wenn Österreich die Notwendigkeit des Naturschutzes nicht von selbst einsieht, so sind wir spätestens seit dem Beitritt zur EU gezwungen, die Richtlinien über schützenswerte Lebensräume - auch unter dem Namen Natura 2000 bekannt - umzusetzen. Die einen Kritiker fürchten, dass ganze Landstriche in nutzlose Naturreservate umgewandelt werden, die anderen sehen in den EU-Vorgaben ohnehin nur Umweltplacebos.


Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 24 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Mittlerweile sind fünf Jahre vergangen, noch immer ist die von Brüssel langsam schon mit Ungeduld erwartete Liste der schützenswerten Gebiete unvollständig. Probleme und Perspektiven der baldigen Umsetzung wurden bei der Jahrestagung der ÖGNU (Dachverband der Umweltorganisationen) in St. Pölten einmal mehr diskutiert. Hier prallten die unterschiedlichen Standpunkte, Ökonomie versus Ökologie, aufeinander.

Erschwernis: Die neun Naturschutzgesetze

Je länger Österreich bei der Nominierung von Schutzgebieten säumig ist, umso weniger wird sich die EU-Kommission von der schönen Rhetorik der Landespolitiker - die immer wieder bekräftigen, wie wichtig die Natur und deren Schutz für sie sei - beschwichtigen lassen. Naturschutz ist in Österreich Angelegenheit der Länder: Es gibt neun verschiedene Landesgesetze und noch immer kein einheitliches "Bundesnaturschutzgesetz". Und so werden die Konflikte, die rund um die EU-Vorgabe entstanden sind, nicht bloß einmal, sondern neunmal ausgetragen. "Die Probleme entstehen wegen der unklaren Kompetenzverteilung zwischen Bund und Ländern. Hier ist eine Klärung dringend notwendig", weiß der niederösterreichische Agrarlandesrat Josef Plank. Bei weiterer Verzögerung der konsequenten Umsetzung gerät der Bund immer mehr unter Druck und wird von der EU in die Pflicht genommen.

Dabei gälte es, wie ÖGNU-Präsident Gerhard Heilingbrunner betont, "nicht nur die Naturschutz-, sondern auch die Jagd- und Fischereigesetze endlich dem EU-Recht anzugleichen." Er kritisiert auch, dass die Nominierungen vollkommen unterschiedlich erfolgen: "Rund 40 Gebiete fehlen gänzlich in den Listen."

Lieblingswort "Dialog"

Immer noch versucht jede Lobby-Gruppe (Landwirte, Forstbesitzer, Jäger, Fischer, Gewerbetreibende, Industrielle, Bauherrn sowie Umweltschützer) ihre speziellen Interessen bei den zuständigen Naturschutzabteilungen geltend zu machen. Deshalb wurde auf der Jahrestagung oftmals "der Dialog", das Lieblingswort von Politikern und Interessenvertretern, strapaziert. Dieser "Dialog" müsse nun endgültig mit allen Gruppen gesucht und geführt werden. Dabei solle der Eigennutz dem Gemeinschaftsinteresse untergeordnet werden - soweit zumindest die frommen Wünsche. Die Zeit drängt, mittlerweile sieht sich aber die Republik schon mit einigen Vertragsverletzungsverfahren konfrontiert. Bei der Nominierung von Schutzgebieten hat Niederösterreich bisher die Vorreiterposition inne. Eine Position, über die sich Wolfgang Sobotka, Niederösterreichs Landesrat für Umwelt, Raumordnung und Finanzen, naturgemäß freut.

Problemfall Ebreichsdorf

Doch auch in Niederösterreich gibt es noch einige Problemfälle. Einer davon ist der Pferdesportpark Ebreichsdorf, eine Großanlage, hinter welcher der milliardenschwere austro-kanadische Investor Frank Stronach steht. Der Bau derselben hätte Auswirkungen auf das Feuchtbiotop der Welschen Halten, die auf Grund der Fauna-Flora-Habitat(FFH)-Richtlinie zu schützen wären, betonen die Kritiker. Empörte Bürger, Wissenschafter und Naturschützer versuchen hier schon seit Jahren, auf Ungereimtheiten bei der Umwidmung des Areals hinzuweisen. Auch soll es schon zu Eingriffen in die Landschaft gekommen sein, ohne dass es dafür Bewilligungen gegeben hätte. Umwelt- und Raumordnungslandesrat Sobotka sieht die Situation gelassen: "Die Umwidmung in Bauland fand auf Grund von Gutachten statt. Vorzeitige Eingriffe sind Sache der Bezirksbehörde in Baden. Doch wir werden keinen Schritt unbeobachtet lassen."

Aber jenseits einzelner Querelen um Schutzgebiete gibt es, trotz unzähliger Sitzungen, mit den Grundeigentümern noch keinen Konsens über die schützenswerten Bereiche. Noch dazu, weil die Bauern und Forstwirte (vertreten durch die Landwirtschaftskammer), aber auch das Gewerbe (vertreten durch die Wirtschaftskammer) unsicher sind oder gemacht wurden. Agrarlandesrat Plank kennt die Horrorszenarien, die immer wieder kolportiert werden: "Da ist von Enteignung und Zwangsdirektive aus Brüssel die Rede." Und um diese Ängste nicht weiter zu schüren, setzt Plank auf weitere "wissenschaftliche Grundlagen".

Akzeptanz steht und fällt mit der Finanzierung

Die Akzeptanz von Natura 2000 steht und fällt mit den Entschädigungen und Abgeltungen. Doch nicht nur Bauern, sondern auch Wirtschaftstreibende wollen Ansprüche geltend machen. Plank weiß, dass die Fragen der Finanzierung im Vertragsnaturschutz eine zentrale Bedeutung haben. "Außerdem soll die Landwirtschaft nicht durch Umschichtung der Mittel zu intensiverer Produktion gezwungen werden." Damit spricht Plank ein Dilemma an: Auf der einen Seite gibt es vermehrt geschützte Regionen und Naturreservate, die konserviert werden müssen, weil auf der anderen Seite durch Eingriffe des Menschen Arten und auch Landschaften vernichtet werden.

Einen Schritt vorwärts in Fragen der Finanzierung regte der ÖGNU-Vorsitzende an: Er sprach vom "Schotterschilling" - im Sinne einer Verursacherabgabe -, der für Landschaftsverbrauch, wie etwa bei der Rohstoffgewinnung, eingehoben und zweckgebunden verwendet werden sollte. Damit könnten auch oftmals beklagte Wettbewerbsverzerrungen, erzeugt durch Naturschutzauflagen, beseitigt werden: "Hier wäre auch ein Vorstoß der EU gefordert. Denn diese Abgabe müsste auch für Beitrittsländer gelten." Im Rahmen der EU-Erweiterungsverhandlungen sehen manche Naturschützer sogar die Chance, Versäumtes nachzuholen. ÖGNU-Vizepräsidentin und Zoologin Friederike Spitzenberger sieht hier sogar die Möglichkeit, die Liste schützenswerter heimischer Arten in kompletter Form vorzulegen und nachzuverhandeln.