Zum Hauptinhalt springen

Die Liturgie einer Show

Von Sabine Ertl

Kommentare

Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 21 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.

Talkshows sind wie ein Fass ohne Boden: Hölzern und schlichtweg überflüssig. Im einschlägigen Angebot fällt eine Show besonders auf, da sie mit religiöser Metaphorik ins Feld zieht und bewusst auf christliche Werte setzt. Jürgen Fliege, beurlaubter evangelischer Pfarrer, versteht sich in der gleichnamigen Sendung als heilkundiger Talkmaster. Er geht mit mürber Nonchalance ans Werk, ruft zur Selbstsorge und erteilt einen Segen à la "Passen Sie gut auf sich auf!". Meistens rückt er seinen Gesprächspartnern so nahe, psychisch wie physisch, dass einem schon als Zuseher angst und bange wird. Sein Ziel ist, der Wahrheit auf die Spur zu kommen und dafür sind ihm alle Mittel recht: zuhören, schönreden, erzwingen, interpretieren, trösten. Fraglich ist jedoch, ob Fliege dann doch nicht mehr Hoffnungen weckt als er einlösen kann.

Tatsächlich ist des Fernsehpfarrers "säkularisierte Beichte" ein Akt des reinigenden Geständnisses vor einem verzeihenden Millionenpublikum. Und ein absoluter Renner. Doch wäre Fliege nicht Fliege, wenn er nicht erkannt hätte, was der "Volkstalk" wirklich braucht: Galt sein seelsorgerisches Interesse bislang der Gesundheit und Esoterik, schlug er in der letzten Sendung ein neues Kapitel auf: "Krieg und Frieden - Wie kann man Saddam beikommen?". Damit begibt er sich auf das Parkett des politischen Diskurses und in seinem Fall auf die verschleiernde Ebene der Geständnis- und Verdachtskultur. Zwar wird auch er die "Moral von der Geschicht" nicht lüften, doch wenigstens für kurze Zeit glauben lassen, dass doch noch alles gut ausgeht, in Zeiten von Kriegstrommeln und anderen globalen Bedrohungen.