)
Analyse: Wie tief Verfassungsschützer künftig ins Wohnzimmer blicken dürfen.
Hinweis: Der Inhalt dieser Seite wurde vor 10 Jahren in der Wiener Zeitung veröffentlicht. Hier geht's zu unseren neuen Inhalten.
Wien. V-Männer, gendergerecht "V-Personen": ein Eckpunkt des neuen Staatsschutzgesetzes, das am Dienstag in Begutachtung ging und 2016 in Kraft tritt.
Wer glaubt, dass Österreich damit einen echten Nachrichtendienst nach deutschem Vorbild bekommt und künftig dutzende Agenten auf der Suche nach potenziellen Kopfabschneidern hinter dem Vorhang lauern, der irrt.
Denn der österreichische Staatsschutz bleibt weiterhin ein Flickwerk aus Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), das dem schwarzen Innenministerium untersteht, und Heeresnachrichtenamt (HNA) sowie Abwehramt
(AbwA), die dem roten Verteidigungsministerium unterstehen - mit all den Streuverlusten und Eifersüchteleien.
Der große Wurf war politisch nicht möglich. Statt alle Dienste zusammenzufassen, werden nur die Befugnisse des BVT besser auf aktuelle Herausforderungen wie Industriespionage, Cybercrime oder Islamismus ausgeweitet. Dieser kleine Wurf scheint auf den ersten Blick durchaus gelungen; denn er scheint die Balance zwischen persönlicher Freiheit und öffentlicher Sicherheit zu wahren.
Das neue Gesetz sieht vor, dass das BVT weiterhin Polizeibehörde bleibt. Allerdings können die Staatsschützer - wie exklusiv berichtet - schon weit vor der Tat eingreifen und nicht erst, wenn ein konkreter Angriff droht. Das nennt sich erweiterte Gefahrenerforschung und stellt auf die Prognose von Straftaten ab, die das Staatsgefüge bedrohen. Dafür bekommen die Beamten neue Werkzeuge in die Hand, derer sich zuvor nur Kriminalbeamte bedienen durften. So können sie verdächtige Personen über ihre IP-Adressen am Computer ausforschen oder Kfz-Kennzeichen abklären. Daten aus Observationen müssen künftig nicht mehr schon nach neun Monaten, sondern erst nach spätestens sechs Jahren gelöscht werden. Das hat nichts mit einer Wiedereinführung der Vorratsdatenspeicherung durch Telekom-Provider zu tun. Sie war vom Europäischen Gerichtshof gekippt und im Zuge des Kampfes gegen den Islamismus von manchen wieder herbeigesehnt worden. Die Vorratsdatenspeicherung umfasste Internet- oder Handydaten der letzten sechs Monate, die bei Verdacht abgerufen werden konnten.
Das BVT darf sich auch künftig nicht bei jedermann ins Handy oder Internet hacken, um Daten aufzuzeichnen und jahrelang zu speichern. Erstens ist der Anwendungsbereich der erweiterten Gefahrenerforschung eingegrenzt auf Industrie-Spione, politische (z.B. Neonazis) oder religiöse Extremisten (z.B. Dschihadisten), Händler mit radioaktiven Stoffen oder Auslandsagenten. Der gegen organisierte Kriminalität gerichtete "Mafia-Paragraf" fällt nicht darunter. Das heißt, Tierschützer, gegen die nach diesem Paragrafen jahrelang ermittelt wurde, müssen sich nicht vor verschärfter Observation fürchten.
Zweitens dürfen nur "öffentlich zugängliche Daten" aufgezeichnet werden, die "einem nicht von vornherein bestimmten Personenkreis im Internet zugänglich sind". Das heißt, das persönliche Facebook-Profil, dessen Zugang auf "Freunde" eingeschränkt ist, bleibt streng nach den Buchstaben des Gesetzes tabu, ebenfalls das Handy oder durch ein Passwort geschützter E-Mail-Account. Ein Nickname alleine schützt hingegen nicht vor neugierigen Blicken. Solche Accounts gelten gegenüber dem Staat laut aktueller Rechtsmeinung als "nicht schutzwürdig".
Drittens muss der Rechtsschutzbeauftragte im Innenministerium jede Verlängerung der Observation prüfen, je länger die Speicherung der Daten, desto triftiger muss der Grund sein.
Kommen wir zur größten Herausforderung des BVT, dem Kampf gegen den Dschihad. Wie hilft hier das neue Gesetz?
Einzelne Maßnahmen wurden speziell dafür erlassen. Informationen über Reisebewegungen von Islamisten, die zwischen Österreich und Syrien verkehren, können nun von Fluggesellschaften, Reisebüros oder Mietwagenfirmen eingeholt werden. Die längere Aufzeichnung von Daten kann gegen "Schläfer" helfen, die im Verdacht stehen, für den Dschihad zu rekrutieren, aber nach neun Monaten nicht dingfest gemacht werden. Derzeit müssen die Daten nach neun Monaten gelöscht werden, auch wenn er erst nach zwei Jahren "aufwacht". Die Überwachung von Nickname-Profilen kann insbesondere auf Plattformen wie ask.fm helfen, die bei Dschihad-Sympathisanten beliebt ist. Allerdings wechseln Profile so schnell, dass die Staatsschützer ohne konkreten Verdacht meist einen Schritt hinten nach sind.
V-Personen könnten helfen, Extremisten-Netzwerke zu sprengen. Allerdings kommen sie in Neonazi-Netzwerke viel leichter rein als bei Dschihadisten. Die rekrutieren sich in Österreich oft in der tschetschenischen Community, die extrem abgeschottet ist. Hier einzudringen bedeutet ein hohes Risiko, das entsprechend abgegolten werden müsste - wird es aber nicht. Mehr als ein paar hundert oder bei einem ganz heißen Tipp ein paar tausend Euro wird es nicht geben, ist zu hören. Zuckerl wie ein beschleunigtes Asylverfahren oder eine rasche Einbürgerung ebenfalls nicht. Offiziell. Wenn doch, dann bleibt es geheim.
Die stärkste Waffe gegen den Dschihad ist und bleibt somit der Anti-Terror-Paragraf 278b des Strafgesetzbuches. Der war schon vor der Novelle schärfer gefasst als in anderen Ländern.