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Analyse: Am Sonntag startet Österreich mit den Gemeinderatswahlen in Niederösterreich in ein Super-Wahljahr. Ein Stresstest - vor allem für das Nervenkostüm von SPÖ und ÖVP.
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Es gibt, in Bezug auf den Zustand der Demokratie in Österreich, eine gute Nachricht und leider auch eine schlechte. Die schlechte ist: Es knirscht vernehmbar im Gebälk der Republik, das Ansehen der Classe politique, dem vagen Amalgam von Berufs- und Profipolitikern, von denen man allenfalls den Namen und die Partei kennt, aber sonst so gut wie nichts von Relevanz weiß, ist mehr als nur ramponiert.
Wer das nicht glauben mag, muss nur dorthin gehen, wo die Menschen zusammenkommen, um nicht nur, aber eben auch über Politik zu reden. An den Stammtischen, im Büro und beim Einkaufen kann man erleben, wie sehr Bürger und Politiker aneinander vorbeireden.
Die gute Nachricht lautet: Die Politik ahnt, dass sie ein Problem hat, ein schwerwiegendes noch dazu; mitunter schafft sie es sogar, darüber zu reden. Nachdem die Akzeptanz von Fakten nicht wirklich als Stärke des politischen Betriebs gilt, ist das Eingeständnis des eigenen Reputationsproblems kein kleiner Schritt. Und vereinzelt wird sogar über Lösungsansätze nachgedacht, derzeit etwa in der Enquete-Kommission des Parlaments zur Stärkung der Demokratie, wo - Premiere! - neben Experten und Parteipolitikern auch acht per Los ausgewählte Bürger Rederecht haben. Mühsam, aber doch nährt sich die heimische Demokratiereform.
Elf Millionen Stimmenund ein Showkampf
Angesichts dieser Stimmung ist es natürlich Pech für die etablierten Parteien, wenn elf Millionen Stimmen heuer zu vergeben sind (wenn denn alle Stimmberechtigten von ihrem Recht Gebrauch machen würden). Gemeinderatswahlen in 570 der 573 Gemeinden in Niederösterreich machen am Sonntag den Anfang: Kommunalwahlen folgen am 1., 15. und 21. März (Kärnten, Vorarlberg und Steiermark) sowie am 27. Oktober (Oberösterreich). Gewichtiger - allerdings nur für Parteien und Medien - sind die Landtagswahlen im Burgenland (voraussichtlich Ende Mai), Wien (wohl der 14. Juni) und Oberösterreich und Steiermark (beide im Herbst).
Bei keinem Urnengang steht die Bundespolitik direkt zur Wahl, trotzdem werden am Ende Werner Faymann und Reinhold Mitterlehner, Kanzler und Vize der rot-schwarzen Bundesregierung, anhand der Ergebnisse gewogen und vermessen werden. Dem unmittelbaren Wählerurteil stellt sich von allen Bundespolitikern nur FPÖ-Obmann Heinz-Christian Strache, der sich als Herausforderer von Bürgermeister Michael Häupl in Wien inszeniert. Dass Strache der Bundespolitik abhanden kommt, ist eher unwahrscheinlich - dafür fehlt es ihm an Partnern -, aber die Übung erfüllt auch so ihren Zweck: Die Wien-Wahl zum Duell Strache gegen Häupl zuzuspitzen.
Für das ohnehin angespannte Nervenkostüm der beiden Regierungsparteien wird das heurige Jahr eine Belastungsprobe. Die konkrete Logik der Funktionärskohorten - , mitunter auch liebevoll Basiswappler genannt (so der Grüne Karl Öllinger anno 1994) -, die hier Richtung und Dynamik vorgeben, ist bestechend simpel: Parteichefs, deren Strahlkraft Stimmengewinne, zumindest aber ein Halten des aktuellen Anteils am Machtkuchen gewährleisten, müssen sich über ihre Jobsicherheit keine Gedanken machen. Das bedeutet im Umkehrschluss: alle anderen sehr wohl.
Jobangst ist der Stoff, aus dem Polit-Revolutionen sind
Selbsterhaltung ist auch bei Basisfunktionären der stärkste Urinstinkt. Deshalb vermag die begründete Sorge um das eigene Mandat in der Politik eine sehr viel unmittelbarere revolutionäre Dynamik auszulösen als im gemeinen Alltagsleben.
Das bekommt derzeit die Kanzlerpartei besonders unmittelbar zu spüren. Bis vor einem halben Jahr hätte sich Werner Faymann und sein Team entspannt zurücklehnen können. Nicht, weil damals in den roten Reihen alles so viel besser gewesen wäre. Das war es nicht. Die Überlebensversicherung der SPÖ-Spitze hatte einen Namen und hieß Michael Spindelegger. Doch als im vergangenen August der damalige ÖVP-Obmann und Finanzminister vor der wachsenden innerparteilichen Opposition entnervt zurücktrat, fand sich die SPÖ quasi über Nacht in einer völlig neuen Wettbewerbssituation wieder. Mit Reinhold Mitterlehner verspürte plötzlich die ÖVP ungewohnten Rückenwind, wenn schon nicht stimmentechnisch, so doch wenigstens stimmungstechnisch. Faymann muss nun den Beweis erbringen, dass mit ihm an der Spitze die SPÖ ihre Macht verteidigen kann. Ob das gelingt, darüber werden die Landtagswahlen in Wien und der Steiermark ein Gradmesser sein. Auch wenn in beiden Ländern der Landeshauptmannsessel nicht wirklich in Gefahr ist, das Ausmaß des Minus darf eine gewisse Schmerzgrenze nicht überschreiten.
Gemeinhin ist das Unglück der Regierung ein Glück für die Opposition. Diese alte Gleichung ist obsolet: Politik ist in der gesamten westlichen Welt kein Nullsummenspiel mehr, wo die Opposition gewinnt, was die Regierung verliert. Selten noch haben politische Start-ups bessere Bedingungen zum Entstehen und Wachsen vorgefunden. Aus One-Hit-Wundern eine nachhaltig erfolgreiche politische Bewegung zu zimmern, ist allerdings ungleich schwieriger.
Das Team Stronach etwa hat seine Zukunft wohl schon hinter sich; eine Partei, die zum wiederholten Mal die Kandidatur bei Wahlen verweigert, hat ihren Daseinszweck verloren; auf Euro-Millionen eines erratischen Gönners allein lassen sich keine politischen Strukturen aufbauen.
Bei den Start-ups trennt sich heuer Spreu vom Weizen
Die Neos haben das von Anfang an verstanden, dennoch spüren auch sie die Mühen der Ebene, wenn die Politik die engen Grenzen der Bundeshauptstadt verlässt. In Niederösterreich kandieren die Neos nur in 45 von 570 Kommunen, teils fehlten geeignete Kandidaten, teils die notwendigen Unterstützungsunterschriften. Das wird im Burgenland, der Steiermark und Oberösterreich nicht anders sein, von Kärnten nicht zu reden.
Ganz anders die Situation der Grünen: Der Ökopartei gelingt das politische Kunststück, sowohl als konstruktive Kraft wie auch als Bewegung des Anti-Establishments wahrgenommen zu werden. Im Bund und in Europa wettern die Grünen gegen das Versagen der rot-schwarzen (Wien) bzw. schwarz-roten Koalitionen (Brüssel), während sie sich gleichzeitig auf Bundesländerebene als pragmatische Mehrheitsbeschaffer etablieren; und zwar ohne die Vorherrschaft der jeweiligen Mehrheitspartei - ob SPÖ oder ÖVP - wirklich infrage zu stellen. Kommunikations- und machttechnisch ist diese Leistung gar nicht hoch genug einzuschätzen.
Dagegen hat es die FPÖ fast schon zu leicht: Die Strache-Partei ist nach und nach aus sämtlichen exekutiven Machtpositionen, ob im Bund oder den Ländern, gestolpert oder verdrängt worden; entsprechend leicht fällt es den Blauen, sich als Partei der Enttäuschten und Benachteiligten zu präsentieren. Davor, den Wahrheitsbeweis politisch anzutreten, bleiben sie wohl auch im heurigen Jahr ausgeschlossen.