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Die Lohnverhandlung - ein Drama

Von Simon Rosner

Wirtschaft

Es hat etwas Theatralisches, wenn über Gehälter debattiert wird, vor allem die Metaller-Verhandlungen sind mystisch umweht.


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Wien. Die Metaller-Verhandlungen mögen eine lange, fast schon ins Mystische gehende Tradition in Österreich haben. Aber so lange bestehen sie dann doch nicht, dass die Dramentheoretiker des 17. Jahrhunderts Kenntnis von den sozialpartnerschaftlichen Passionsspielen gehabt hätten. Und doch fügen sich die jährlichen Kollektivvertragsverhandlungen oft gut in den in jener Zeit etablierten Aufbau eines Dramas: von der Einführung der Personen (Forderungsübergabe), über die Steigerung (beiderseitige Entrüstung nach der ersten Verhandlungsrunde) bis hin zum Dénouement, der Lösung des Konflikts (Einigung auf Lohnerhöhung). Und um den Mammon geht es ja bekanntlich auch.

In diesem Jahr ist alles etwas anders. Denn schon unmittelbar nach der Übergabe der Forderungen war ein dramatischer Höhepunkt erreicht, weit früher als sonst. Die Industrie brach am Donnerstag die Verhandlungen, die noch nicht einmal so richtig begonnen hatten, ab, die Gewerkschaft ihrerseits beschwerte sich über "ungeheuerliche und absurde" Forderungen der Arbeitgeber.

Prinzipiell gehört zumindest ein Eklat zu jeder anständig geführten Lohnrunde, schon vor mehr als zehn Jahren, noch in wirtschaftlich deutlich besseren, ruhigeren Zeiten, hat es immer wieder Abbrüche gegeben. Der frühe Zeitpunkt diesmal überraschte, allerdings nur auf den ersten Blick. Denn seit einigen Jahren werden die Verhandlungen unerbittlicher.

Vorbei scheint die Zeit, als sich Gewerkschafter Rudolf Nürnberger und Metaller-Chefverhandler Hermann Haslauer in heiklen Phasen mit Erlebnisberichten über ihr gemeinsames Hobby, Modelleisenbahnen, das Gemüt kühlten. Die handelnden Personen sind mittlerweile andere, vor allem aber werden seit drei Jahren die Lohnverhandlungen in den Metallbranchen getrennt geführt, was ein langjähriger Wunsch der Arbeitgeber war.

Die Krise als Zäsurin den Verhandlungen

Die Gewerkschaft argumentiert bis heute, dass Österreich mit den Branchen-Kollektivverträgen jahrzehntelang gut gefahren sei, die Gegenseite will am liebsten die Verhandlungen in den Betrieben selbst sehen, deren wirtschaftliche Lage doch sehr unterschiedlich ist. So war es auch in der Vergangenheit, als noch mit allen Verbänden gleichzeitig verhandelt wurde, immer wieder der Fall, dass ein Verband gut aufgestellt war, während ein anderer ob der Wirtschaftslage ächzte.

Bisher fanden sich immer wieder Lösungen, etwa Einmalzahlungen, die sich nach dem Betriebsergebnis richteten, oder wie im Jahr 2011, als Betriebe mit schwacher Ertragslage Ausnahmegenehmigungen bei den Lohnerhöhungen erhielten. Die Differenzierung ist jedoch ein grundsätzliches Problem in den Verhandlungen.

In jüngerer Vergangenheit sind aber jedenfalls die Wirtschaftskrise und ihre Folgen als ein Faktor festzumachen, der die Gespräche nachhaltig erschwert. Vor 2008 gab es zwar auch immer wieder harte Verhandlungen, gespickt mit Drohungen bis hin zu Protestmaßnahmen, doch seit der Krise sind eine Verschärfung der Rhetorik und eine Zunahme der versteckten Fouls feststellbar. Vier Verhandlungsrunden, die sich bis in den November ziehen, sind zur Normalität geworden, ebenso Streikdrohungen. Im Jahr 2010 sorgte allein die Sitzordnung für einen Eklat, als sich die Arbeitgeber auf ein Podium setzten.

Am Ende stand freilich noch immer jedes Jahr die gütliche Einigung, auch wenn manchmal eine Seite hörbar mit den Zähnen knirschte. Etwa im Krisenjahr 2008, als die Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers kurz zuvor die Weltwirtschaft beben ließ, die tatsächlichen Auswirkungen aber noch unklar waren. Haslauer sprach damals von einer "sehr schwierigen Entwicklung" und einem Abschluss, der "nicht leicht umsetzbar" sei. Allerdings erhielten die Arbeitgeber damals auch die Zusage der Gewerkschaft für Kurzarbeitsregelungen, mit der sich die heimische Industrie recht gut durch die erste Phase der Krise lavierte.

In den folgenden Jahren ging es dann auch wieder bergauf, doch war es keine Zeit, wirklich große Streitthemen abseits von Lohnerhöhungen anzupacken, zu denen die KV-Verhandlungen auch immer wieder beigetragen haben. Vor elf Jahren beispielsweise verständigten sich die Verhandler auf ein einheitliches Lohn- und Gehaltssystem für Arbeiter und Angestellte, was von der Gewerkschaft über Jahrzehnte gefordert worden war.

Unsicherheit als Erschwernis der Gespräche

Auf der anderen Seite steht der Wunsch der Arbeitgeber nach neuen Arbeitszeitmodellen, eine Einigung gibt es aber bis heute nicht. Im Jahr 2009 junktimierten sogar die Branchenverbände die Frage der Lohnerhöhung mit jener einer Arbeitszeitflexibilisierung, doch wehrte die Gewerkschaft dies erfolgreich ab. Im Vorjahr wurde das Thema dann danach - von den Lohnverhandlungen getrennt - weiterdiskutiert, bisher jedoch ohne Ergebnis.

Seit drei Jahren geht es zumindest Teilen der Metallbranche recht nachhaltig schlecht, so bilanziert etwa ein Drittel der Betriebe aus dem größten Verband, der Maschinen und Metallwarenindustrie, mit ihren 120.000 Arbeitnehmern, negativ. Und die Prognosen der Wirtschaftsforscher geben derzeit auch wenig Anlass zu Optimismus. Die Zahlen kennen die Gewerkschafter natürlich auch, und mehr noch: Sie wissen dank der Betriebsräte, wie es jedem einzelnen Unternehmen geht. Doch die Unsicherheit ist nach der Krise größer als vorher, und diese Unsicherheit ist für beide Seiten in den Verhandlungen ein Problem, da sie das Finden der richtigen Taktik erschwert.

Die spielt selbstredend eine große Rolle, denn nicht hinter jedem Abbruch der Verhandlungen steckt auch tatsächliche Erzürnung, vielleicht auch diesmal. Es hat eben bisher noch immer für eine Lösung und einen Handschlag gereicht. Gewissermaßen die Katharsis im letzten Akt eines Dramas, das freilich in der Theorie auch ein anderes Ende kennt: Katastrophe und Verdammnis.