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"Die Lösung liegt bei Russland"

Von Reinhard Göweil

Politik

Ex-Raiffeisen-Chef Herbert Stepic im Interview über die Krise in der Ukraine und die Rolle der Oligarchen.


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Wien. Herbert Stepic gilt als Osteuropa-Pionier. Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion war er einer der ersten westlichen Banker, die dort Banken aufsperrten. Er ist ein intimer Kenner der Finanz- und Gemütslage Osteuropas. Mit der "Wiener Zeitung" sprach er über die schwere Krise der Ukraine, wie es dazu kam und welche Auswege er sieht.

"Wiener Zeitung": Aus einem eher spontanen Protest in Kiew ist ein Volksaufstand geworden. Hat Wiktor Janukowitsch die Stimmung im Land unterschätzt?

Herbert Stepic: Er will an der Macht bleiben. Er hat den EU-Prozess von Julia Timoschenko übernommen und war wohl von der Breite der Auflagen überrascht. Es war die EU, die beim Assoziierungsabkommen gelinde gesagt unprofessionell agiert hat.

Wo lagen die Fehler der EU aus Ihrer Sicht?

Die Verhandler der Union haben unterschätzt, mit wem sie es zu tun hat. Vitali Putin will Russland wieder zu einer Weltmacht machen, und es war eine Fehlkonstruktion, die Russen nicht einzubinden. Deren Sorge, dass die Ukraine zur Nato geht, war real. Doch die EU hat als Ersatz für den Wegfall der russischen Märkte 600 Millionen angeboten. Putin gab 18 Milliarden Dollar, das entsprach den Bedürfnissen viel eher. Zudem war es naiv von der EU anzunehmen, dass Janukowitsch der Freilassung seiner stärksten Gegnerin Timoschenko zustimmt.

Putin hat die Grenze für ukrainische Waren dichtgemacht, die Rückzahlung von Schulden angedroht, und mit Erdgas-Boykott gedroht. Freundlich würde ich das auch nicht unbedingt nennen.

Russen sind Realpolitiker. Für sie ist der Einsatz wirtschaftlicher Druckmittel ein normales Instrument der Politik, wenn ihre Interessen bedroht sind. Und Putin will nun einmal sein Großrussland zimmern. In der Ukraine sind viele für Russland wichtige Industriezweige beheimatet, die Schwarzmeerflotte hat auf der Krim ihren Stützpunkt. Dies nicht zu bedenken, war der größte Fehler der EU, und ich verstehe ihn auch nicht. Aber die EU-Außenbeauftragte Catherin Ashton hat mit Osteuropa eher wenig am Hut.

Halten sie es für möglich, dass die Ukraine zerfällt - der Osten zu Russland, der Westen zur EU?

Nein, das halte ich für nicht möglich. 80 Prozent der Bevölkerung wollen eine eigenständige Ukraine, und zwar in allen Landesteilen. Das ist in Lemberg nicht anders als im Industriezentrum Donezk. Die Menschen wollen keine Rückkehr nach Russland, sondern eine Hinwendung an westliche Lebensbedingungen.

Wie könnte also eine Lösung für die Ukraine aussehen?

Die Lösung liegt bei Russland. Eine Einzellösung halte ich für schwierig. Die EU könnte ihre Ost-Partnerschaft, mit der zentralasiatische Länder an die EU herangeführt werden sollen, mit der russischen Zollunion, die auch Weißrussland und Kasachstan umfasst, zusammenführen.

Das hört sich sehr technisch an. Damit wären die Menschen am Maidan in Kiew zufrieden?

Es gibt keine Rucki-Zucki-Lösung in dieser verfahrenen Situation. Aber auch die EU-Assoziierungsabkommen fußen auf Zollfreiheit. Auch die Zollunion zwischen Russland, Weißrussland und Kasachstan. Auf Basis bestehender Handelsabkommen müsste es einfacher gehen.

Warum sollte der Westen Russland entgegenkommen? Angesichts der schwierigen wirtschaftlichen Lage der Ukraine könnte der Westen doch einen Boykott aussprechen und Vermögen der Oligarchen einfrieren. Dann müsste Russland die Ukraine allein durchtragen, was nicht so einfach wäre.

Russland könnte die Ukraine leicht mitnehmen. Und ein solcher Boykott würde die Falschen treffen, nämlich auch jene Menschen, die gerade für Freiheit demonstrieren und sich dafür verprügeln lassen. Ich hielte das für fatal.

Die USA nicht so sehr, sie drohen laut mit Sanktionen gegen die Ukraine.

Die USA machen seit eineinhalb Wochen Druck. Sie denken, wenn es die Europäer nicht schaffen, müssen sie es machen. Und dann auf ihre Art halt.

Präsident Janukowitsch hat sich in ein Spital einliefern lassen, der abgesetzte Regierungschef Mykola Asarow soll das Land verlassen und sich nach Österreich abgesetzt haben. Zerfällt das Regime?

Dann gibt es möglicherweise vorgezogene Neuwahlen. Danach kommen zwar neue Köpfe, aber auch die können die geopolitischen Abhängigkeiten und Zahlungsverpflichtungen des Landes nicht ändern.

Welche Rolle spielen die Oligarchen, die einen märchenhaften Reichtum angehäuft haben, in der jetzigen Situation?

Da gibt es einen fundamentalen Unterschied zu Russland. Putin hat mit dem Beispiel Michail Chodorkowski klargemacht, dass er sich jede Einmischung der Oligarchen in die Politik verbittet. Das hat er eindrucksvoll geschafft. In der Ukraine haben die Oligarchen, vor allem die Donezk-
Gruppe um Rinat Achmetow, in den vergangenen Jahren Janukowitsch unterstützt. Übrigens auch die RUE-Gruppe, zu der Dmytro Firtasch gehört. Mittlerweile sind die Medien, die von diesen Oligarchen kontrolliert werden, aber umgeschwenkt.

Jener Firtasch, für den Raiffeisen lange Treuhänder bei der Gas-Transitgesellschaft Rosukrenergo war?

(lächelt). Ja, der. Firtasch ist nach wie vor ein sehr einflussreicher Unternehmer in der Ukraine.

Wenn diese Oligarchen jetzt die Opposition unterstützen, wissen sie, mit wem sie es zu tun haben? Da gibt es faschistische Gruppen dabei mit beängstigenden Ideen.

Ich glaube nicht, dass die eine zentrale Rolle spielen. Aber es ist richtig, die Opposition ist alles andere als einig. Vitali Klitschko ist gerade dabei, etwas Charisma aufzubauen. Da er schlecht Ukrainisch spricht, redet er oft in russischer Sprache, das kommt im Osten des Landes ganz gut an. Der frühere Notenbank-Chef des Landes, der nach der "Orangen Revolution" eine Zeit lang Außenminister war, wird auch als kommender Mann gehandelt (dabei handelt es sich um Arseni Jarzenjuk, der eine liberale Politik vertritt, Anm. d. Red.).

Russland hat die Auszahlung weiterer Milliarden vorerst auf Eis gelegt. Wenn es zu Neuwahlen kommen sollte, wird das Land monatelang stillstehen. Wie soll die Ukraine das überstehen?

Dann könnte die EU zeigen, was sie kann. Sie müsste meiner Einschätzung nach der Ukraine einen Überbrückungskredit einräumen. Das Land braucht heuer etwa 12 bis 15 Milliarden Dollar, um seine Verpflichtungen erfüllen zu können. Am allerbesten wäre freilich ein Stützungsprogramm des Internationalen Währungsfonds, auch wenn sich die Ukraine zuletzt nicht darauf einigen konnte. Ein Währungsfonds-Programm wäre auch für die Russen leichter zu akzeptieren.

Die Ukraine hat etwa 45 Millionen Einwohner und ist von der Fläche her doppelt so groß wie Deutschland. Sie haben jetzt schon ein paar Mal von geopolitischen Abhängigkeiten gesprochen. Da geht es um russisches Gas, oder?

Ja, aber nicht nur. Billiges Erdgas ist für die ukrainische Industrie lebenswichtig, doch man muss sich auch die Struktur der ukrainischen Exporte anschauen. Wertmäßig halten sich hier Russland und die EU in etwa die Waage. Aber die Wertschöpfung der Lieferungen nach Russland ist viel höher. Die Ukraine - und auch die Oligarchen - können sich den Wegfall des russischen Marktes einfach nicht leisten. Denn die Qualität der Exportwaren nach Russland würde in Europa nicht standhalten.

Also Maschinen nach Russland und Eisenerz nach Europa?

Ja, so in diese Richtung.

Aber Erdgas bleibt der Schlüssel. Wird Russland uns wieder frieren lassen und Lieferungen drosseln?

Wenn die Unruhen anhalten, wird sich Russland zurückhalten. Aber wie wird die Wirtschaft reagieren? Derzeit läuft alles relativ normal, die Parität der Landeswährung Griwna zum Dollar steht. Aber es kann sein, dass die Ukraine Devisenreserven dafür einsetzen muss, und die sind ohnehin schon von 30 auf 20 Milliarden Dollar geschmolzen.

Aber Janukowitsch wird in jedem Fall als schwerreicher Mann aus der Präsidentschaft gehen, egal wie lange sie dauert...

In der Ukraine heißen sie "die Familie", sie gehört mittlerweile selbst zu den Oligarchen im Land. Sein Sohn macht das. Er wird alles versuchen, das zu halten.

Zur Person: Herbert Stepic (67 war bis Mai 2013 Vorstandsvorsitzender der Raiffeisen Bank International (RBI), die er federführend aufgebaut hat. Stepic gilt als erstklassiger Kenner der Vorgänge in Osteuropa, vor allem in Russland und im GUS-Raum. Mit ihm war vereinbart, im Interview keine Fragen zu Raiffeisen zu stellen.