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Die Lunte brennt in Algier

Von WZ-Korrespondent Heinz Krieger

Politik
Ende Dezember kam es bei Algier zu Zusammenstößen mit der Polizei. Grund waren Proteste gegen hohe Lebensmittelpreise.
© reu/Boudina

Steigende Preise bei Grundnahrungsmitteln kratzen am sozialen Frieden des ölreichen Maghreb-Staates.|Präsidentenwahl im April sorgt für zusätzlichen politischen Zündstoff.


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Algier. Besonders erbost sind die Algerier, dass ihnen Kartoffeln verkauft worden sind, die eigentlich für die Schweinemast in Kanada vorgesehen waren. Das jedenfalls berichtet die Algerische Liga für die Verteidigung der Menschenrechte (Laddh). Die Bürgerrechtsgruppe befürchtet, dass sich die Tumulte wiederholen könnten, bei denen am 8. und 9. Januar 2011 in Algier fünf Menschen ums Leben gekommen waren. Auch damals waren die überteuerten Nahrungsmittel der Auslöser für den Volksaufstand. Die politische Stimmung in Algerien ist derzeit ohnehin vor den Wahlen im April angeheizt.

Die Bürgerrechtler von Laddh sehen "desaströse" Folgen des Preisauftriebs bei den Grundnahrungsmitteln voraus. In einer Studie der Organisation, die in Algerien eng mit der deutschen sozialdemokratischen Ebert-Stiftung zusammenarbeitet, heißt es, Haushalten mit niedrigem Einkommen sei es nicht mehr möglich, ausreichend Nahrungsmittel einzukaufen.

"Das erinnert seltsam an eine Situation, die wir schon einmal erlebt haben", schreiben die Laddh-Autoren mit Bezug auf die Unruhen wegen hoher Lebensmittelpreise vor genau drei Jahren. Die hohen Preise seien die Folge von Spekulationenund keinesfalls gerechtfertig, schreiben die Autoren in der Studie. Betroffen von der Teuerung sind Getreideerzeugnisse, Hülsenfrüchte, Fleisch und Milchprodukte. So habe sich der Preis von Käse und Joghurt zwischen Anfang 2008 und Anfang 2014 - also binnen sechs Jahren - verdoppelt. Für Empörung sorgt in der Organisation auch der Skandal um die Einfuhr von Kartoffeln für den algerischen Markt. Diese seien für die Schweinemast in Kanada bestimmt gewesen, dann aber in Algerien als Speisekartoffeln angeboten worden. Zudem noch zu einem überhöhten Preis von 40 Dinar (etwa 37 Eurocent) pro Kilo. Dass es sich um Kartoffeln für Mastschweine handelte, schürt die Wut in dem islamischen Land ganz besonders.

"Alarmierend ist, dass keine Produktgruppe vom Preisanstieg ausgenommen ist." Diesem Missstand könne nicht mit Preisregulierungen für bestimmte Grundnahrungsmittel abgeholfen werden, wie es die Regierung versuche, so die Autoren - bei den Unruhen im Januar 2011 hatte die Regierung in Algier die Preise für Speiseöl und für Zucker per Verordnung stark herabgesetzt.

Insgesamt kämpft Algerien mit einer hohen Inflationsrate, auch wenn sie im Vorjahr nach langem wieder deutlich gesunken ist. Sie lag im abgelaufenen Jahr 2013 bei fünf Prozent nach 8,9 Prozent im Jahr zuvor. Für 2014 werden 4,5 Prozent erwartet.

Vor allem die enormen Öl- und Gaseinnahmen tragen dazu bei, dass der Maghreb-Staat trotz struktureller Defizite im Vergleich zu anderen Ländern Nordafrikas recht passable Wirtschaftsdaten vorweisen kann. Die Öl- und Gaseinnahmen machen mehr als ein Drittel des Bruttoinlandsprodukts (BIP) aus.

Das Wirtschaftswachstum betrug 2013 3,1 Prozent, 2012 3,3 Prozent. Für heuer werden 3,7 Prozent erwartet. Das Haushaltsdefizit lag im vergangenen Jahr bei 1,5 Prozent - eine Zahl, von der EU-Länder nur träumen können. Stabil bei 23,8 Prozent des BIP liegt seit zwei Jahren auch Algeriens Staatsverschuldung. 2013 belief sich die Neuverschuldung auf 1,7 Prozent des BIP.

Die Löhne halten mit den Preisen nicht mit. Das Durchschnittseinkommen liegt im Privatsektor monatlich bei 30.000 Dinar (280 Euro), im öffentlichen Dienst bei gut 40.000 Dinar (370 Euro). Die bestbezahlten Stellen findet man in der Öl- und Gasindustrie mit mehr als 70.000 Dinar. Zwar werden die Gehälter alljährlich angehoben, aber aus Sicht von Laddh treibt das nur die Inflationsspirale an. Denn mit den Löhnen gehen auch die Preise hoch. Algerien werde deshalb "in den kommenden Monaten Turbulenzen bis hin zur Gefahr des Bruchs der Gesellschaft" erleben.