Die Türken sollen abstimmen, ob ihr Land zu einem Präsidialsystem übergeht.
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Jetzt kann es nur noch das Volk verhindern. Die Pläne des türkischen Staatspräsidenten Recep Tayyip Erdogan, seine Macht auszubauen, hat das Parlament in Ankara gebilligt; abgelehnt können sie nur noch in einem Referendum werden. Wahrscheinlich im April findet die Abstimmung über eine entsprechende Verfassungsänderung statt - und die Kampagne dafür läuft schon an.
"Von Tür zu Tür" wollen seine Funktionäre gehen, um den Menschen die Situation zu erklären, kündigte der Vorsitzende der größten Oppositionspartei (CHP), Kemal Kiricdaroglu, an. Für ihn waren die Ereignisse in der Großen Nationalversammlung in Ankara schlicht "ein Betrug des Parlaments an der eigenen Geschichte". Wie die von Kurden dominierte Oppositionsfraktion HDP hat die CHP das Vorhaben heftig kritisiert, das die konservative Regierungspartei AKP mit der nationalistischen MHP nach etlichen turbulenten Sitzungen in der Nacht auf Samstag im Abgeordnetenhaus durchgebracht hatte.
Sollten die Türken beim Referendum mehrheitlich für die Pläne stimmen, räumen sie dem Staatspräsidenten eine große Machtfülle ein und schaffen das Amt des Premierministers ab. Der Staatschef soll dann Dekrete erlassen dürfen, die nach ihrer Veröffentlichung Gesetzeskraft erlangen. Per Erlass kann er ebenfalls Ministerien errichten oder abschaffen. Parlament und Präsident sollen künftig am selben Tag für eine Legislaturperiode von fünf Jahren gewählt werden; beide haben auch die Möglichkeit, Neuwahlen auszulösen. Die Zahl der Abgeordneten soll zwar von 550 Mandataren auf 600 Mitglieder steigen, doch gestärkt werden ihre Rechte keinesfalls. So sind parlamentarische Anfragen nur noch schriftlich möglich, zu richten an die Vizepräsidenten und Minister. Und für deren Ernennung ist das Staatsoberhaupt zuständig. Das kann übrigens künftig einer Partei angehören.
30 Jahre an der Staatsspitze?
Präsident Erdogan würde das gleich mehrere Vorteile bieten. Zwar war sein Einfluss auf die Regierungsarbeit der von ihm gegründeten AKP auch bisher nicht zu leugnen. Doch wäre er dann ebenfalls verfassungsrechtlich gedeckt. Außerdem könnte Erdogan noch bis 2029 an der Macht bleiben: Die Gesetzesänderungen würden erst 2019 in Kraft treten und erst ab diesem Jahr gelten. Das bedeutet, dass die bisherigen Amtszeiten des Präsidenten nicht angerechnet würden. Erdogan hätte also in zwei Jahren noch möglicherweise zwei Legislaturperioden vor sich. Das gilt allerdings für reguläre Urnengänge. Falls vor Ablauf der zweiten Amtszeit Neuwahlen angesetzt würden, könnte Erdogan auch ein drittes Mal kandidieren.
Würden die Menschen dann tatsächlich für ihn votieren, wäre der ehemalige Premier dann an die 30 Jahre an der Macht. Er hätte nicht nur die parlamentarische Demokratie zu einem Präsidialsystem umgebaut, sondern seinem Land auch so manch andere politische Wendung beschert. Schon jetzt ist von dem Reformeifer der frühen Jahre nicht viel geblieben. Die "demokratische Öffnung" hin zu den Millionen Kurden, deren Rechte lange Zeit nicht beachtet wurden, steht nicht mehr auf der Agenda. Der Druck der Europäischen Union, die Demokratie und Rechtsstaatlichkeit der Beitrittskandidatin zu festigen, wirkt nicht mehr - was sich aber die Gemeinschaft teilweise selbst zuzuschreiben hat, weil ihre Glaubwürdigkeit beschädigt ist. Der Ausnahmezustand in der Türkei, verhängt nach einem gescheiterten Putschversuch im vergangenen Sommer, brachte Massenverhaftungen und -entlassungen im öffentlichen Dienst, im Justiz- oder Medienbereich.
Er wünsche sich nun Stabilität für sein Land, sagte Erdogan und verwies auf präsidiale Systeme in Frankreich oder den USA. Doch der Vergleich hinkt. Eher drängt sich einer mit Russland auf. Auch dort hat Wladimir Putin, einmal Premier, dann wieder Präsident, die Macht an sich fixiert.