Sachverständige werden in Österreich vom Gericht bestellt. | Einfluss von Privatgutachten in Verfahren gering. | Innsbruck/Wien. Sie sind aus österreichischen Prozessen nicht wegzudenken - in jedem Bereich gibt es sie: Gerichtlich beeidete Sachverständige.
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Vor einer Woche sorgten Meldungen, wonach die Innsbrucker Staatsanwaltschaft gegen den renommierten Vorarlberger Gerichtspsychiater Reinhard Haller wegen Betrugs, Verleumdung und Falschaussage ermittelt, für Aufsehen. Haller soll laut Gerichtsgutachten-Geschädigten-Verband (GGGV) im Rahmen seiner gutachterlichen Tätigkeit der Justiz in zwei Fällen den zeitlich aufwendigeren MMPI-Persönlichkeitstest verrechnet, tatsächlich jedoch eine weitaus kürzere Testvariante, den sogenannten PPKV, durchgeführt haben.
Zudem wurde dem Psychiater vorgeworfen, sich veralteter Methoden zu bedienen: Der klinische Psychologe und gerichtlich zertifizierte Sachverständige, Klaus Burtscher, behauptete bereits im Juli 2009 gegenüber der Wochenzeitung "Die Furche", dass Hallers Expertise in der Begutachtung des Langzeithäftlings Chmelir "schwere Mängel aufweise". Der Psychiater hätte sich dabei veralteter Testmethoden wie des Baumzeichen-Tests und des Wartegg-Zeichen Tests bedient. Hallers darauf eingebrachte Klage gegen Burtscher wies das Erstgericht jedoch zurück: "Die Ansicht des Beklagten, dass die vom Kläger eingesetzten Tests völlig veraltet und schon lange nicht mehr Stand der Wissenschaft seien, sei richtig", heißt es im Urteil.
Ein laut Burtscher "nicht nachvollziehbares Gutachten" soll Haller zudem bereits im Prozess gegen den umstrittenen Psychiater Heinrich Gross abgegeben haben: Der frühere Stationsarzt an der berüchtigten Wiener Euthanasieklinik Am Spiegelgrund hätte sich im März 2000 wegen Beteiligung am neunfachen Mord im Wiener Straflandesgericht zu verantworten gehabt. Der Prozess wurde jedoch nach wenigen Minuten beendet, nachdem der zum psychiatrischen Sachverständigen bestellte Haller dem zum damaligen Zeitpunkt 84-jährigen Gross einen "fortgeschrittenen Hirnabbau" bescheinigt hatte. Ein ORF-Interview mit Gross im Anschluss entfachte die öffentliche Skepsis gegenüber der Richtigkeit von Hallers Gutachten.
"Das alles ist für mich sehr belästigend", sagt Haller gegenüber der "Wiener Zeitng" zu den Vorwürfen. "Der GGGV wird von einem Anwalt vertreten, der durch eines meiner Gutachten vor Jahren sehr viel Geld verloren hat, weshalb er mich seither verfolgt."
"Kampagne gegen mich"
"Das ist lediglich eine Kampagne gegen meine Person, die in ein günstiges Medienloch gefallen ist", meint Haller. Es sei "geradezu absurd", ihm - der erst 2008 ein aktuelles Lehrbuch herausgegeben habe - veraltete Methoden vorzuwerfen. Für das Gericht durchgeführte Tests würden zudem mit Pauschalen vergolten und nicht nach Zeit abgerechnet - man erhalte immer denselben Betrag. Die Anschuldigungen Burtschers, der seit vielen Jahren mit dem Anwalt des GGGV eng zusammenarbeite, seien völlig aus dem Zusammenhang gerissen. In allen Fällen - auch im Fall Gross - hätten andere Gutachter seine Ergebnisse bestätigt, betont Haller. Wie immer auch in der Causa Haller entschieden wird, Fragen nach Kontrollinstanzen gegenüber Sachverständigen wirft sie auf.
"Gerichtlich beeidete Sachverständige sind in vom Präsidenten des jeweiligen Landesgerichts geführten Listen vermerkt", erklärt Verena Murschetz, Strafrechtsprofessorin an der Uni Innsbruck. Über ihre - zunächst auf fünf Jahre befristete Aufnahme - entscheidet eine Kommission. "Nach Ablauf der fünf Jahre sieht das Gesetz eigentlich eine Rezertifizierung vor. Wenn es in der Vergangenheit aber zu keinen Problemen kam, steht einer Verlängerung auf weitere fünf Jahre wohl nichts im Weg", erklärt Murschetz.
Während im angloamerikanischen Parteienverfahren der Richter über die Glaubwürdigkeit der beiden von Kläger- und Angeklagtenseite vorgelegten Gutachten entscheidet, wird im österreichischen Investigativ-Prozess der Sachverständige im Hauptverfahren vom Richter selbst bestellt. Zwar könnten auch Privatgutachten vor Gericht vorgelegt werden, diesen würde aber nicht dasselbe Gewicht wie Sachverständigen-Gutachten beigemessen, so Murschetz.
Schwieriger Nachweis
"Das Gesetz sieht zwar schon Schranken vor, um die Qualität des Gutachter-Systems zu überprüfen. Einem Sachverständigen, der bei Gericht aber schon lange bekannt ist, Fehler nachzuweisen, ist schwierig und kostspielig", konstatiert die Strafrechtsprofessorin.
Neben den üblichen Rechtsmitteln hätte der Beschuldigte nach Bestellung des Sachverständigen zwei Wochen Zeit, um Einspruch gegen diesen wegen Befangenheit oder zu geringer Qualifikation zu erheben. Ob dieser Einwand berechtigt ist, entscheidet allerdings der Richter im Verfahren - dieselbe Person, die den Sachverständigen ursprünglich bestellt hat.