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Die Macht der Partei und der Kauf der Gewehre

Von WZ-Korrespondent Wu Gang

Politik

Präsident Xi nimmt korrupte Generäle ins Visier, das sorgt für Irritationen.


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Peking. "Die Macht der Partei kommt aus dem Lauf der Gewehre", proklamierte einst der Große Vorsitzende Mao Zedong und zementierte mit Hilfe der Volksbefreiungsarmee die Herrschaft der Kommunistischen Partei über China. Bis heute gibt es in der Volksrepublik keine Institution, die so mächtig wäre wie die 2,11 Millionen Mann starke Armee. Diese ist nicht dem Staat unterstellt, sondern sieht sich als militärischer Arm der KP und somit auf Augenhöhe mit der Regierung und der Parteispitze. Angesichts dieser geballten Machtfülle riet Reformarchitekt Deng Xiaoping in den 1990er Jahren seinen Nachfolgern, von fünf Arbeitstagen mindestens vier mit hochrangigen Militärs zu verbringen. Xi Jinping, der aktuelle Parteichef und Präsident Chinas, scheint diesen Ratschlag jedenfalls zu beherzigen, wenn auch nicht zwingendermaßen im Sinne Dengs.

Tonnen an Geld

Seit Xi Jinpings Amtsantritt 2013 sind 31 Generäle wegen Korruption oder illegaler Geschäfte gestürzt worden. Weitere 14 Generäle wurden unmittelbar vor dem Volkskongress - den chinesischen Parlamentstagungen - ihrer Posten enthoben und der Justiz überstellt. Offiziell ist in solchen Fällen von "schweren Disziplinverstößen" die Rede, oft geht es dabei um Schmiergelder für Beförderungen und Aufträge, Spekulationen mit Land und Bauprojekten und Einflussnahme bei Geschäften der Angehörigen. Der Reichtum und die Privilegien der Generäle sind in China so sprichwörtlich, dass es kaum jemanden verwunderte, dass etwa bei Gu Junshan Gold, Wertgegenstände und Bargeld im Wert von knapp 90 Millionen Euro gefunden wurden. Die Anti-Korruptionskampagne, die derzeit über die Armee hinwegfegt, deckt dabei nicht nur kriminelle Machenschaften auf, sondern auch Seilschaften und damit verbundene menschliche Tragödien.

Kein Fall zeigt dies besser als der Sturz von Xu Caihou. Von 2004 bis 2012 war der General stellvertretender Vorsitzender der Zentralen Militärkommission und somit einer der mächtigsten Militärs des Landes, unter anderem verantwortlich für die Beförderungen ranghoher Soldaten. Einige dürften sich ihren Aufstieg mit barer Münze erkauft haben, denn als die Korruptionsfahnder im Juni des Vorjahres die 2000 Quadratmeter große Residenz des Verdächtigen in Peking untersuchten, fanden sie neben Kunstwerken und Jadeschätzen so viel Bargeld, dass sie es nicht mehr zählen konnten. Sie wogen es und kamen auf das Gewicht von einer Tonne, umgerechnet 13 Millionen Euro.

Zum Zeitpunkt der Untersuchung wusste man allerdings bereits, dass Xu unheilbar an Blasenkrebs erkrankt war. Mitte März erlag er seinem Leiden, was mit einiger Verzögerung unmittelbar nach dem Volkskongress bekanntgegeben wurde - das wichtigste politische Ereignis in China duldet keine Nebengeräusche.

Nun hat Xus Ableben dem Land zwar einerseits einen peinlichen Prozess erspart, doch Beobachtern ist die Unnachgiebigkeit gegenüber dem Todgeweihten nicht entgangen, zumal Vorfälle innerhalb der Armee bislang stets diskret behandelt wurden. Genau an diesem Punkt kommen die persönlichen Erfahrungen und Befindlichkeiten von Xi Jinping ins Spiel: Als dieser 2010 als dritter Vize-Vorsitzender in die Zentrale Militärkommission berufen wurde, musste er erleben, wie die beiden Armee-Kollegen Xu Caihou und Guo Boxiong mit seinem Amtsvorgänger Hu Jintao Schlitten fuhren. Sowohl Xu als auch Guo waren Vertraute des früheren KP-Chefs Jiang Zemin, der über die beiden wiederum seinen Einfluss spielen ließ und Präsident Hu dadurch isolierte. Das ging so weit, dass selbst die Amerikaner Zweifel daran hegten, ob das Staatsoberhaupt die Armee überhaupt unter Kontrolle habe. Als Robert Gates 2011 Peking besuchte und der erste Testflug eines chinesischen Tarnkappen-Jets gemeldet wurde, wirkte Hu mindestens ebenso verblüfft wie der US-Verteidigungsminister.

All dies scheint Xi Jinping aufmerksam verfolgt zu haben. Als er 2012 die Macht von Hu übernahm, drängte er nicht ohne Grund darauf, alle drei Schlüsselpositionen im Staat - Präsident, Parteisekretariat und Armeeführung - auf einmal zu übernehmen.

Seitdem ist kein Stein auf dem anderen geblieben, mittlerweile ist es in den chinesischen Medien kein Tabu mehr, öffentlich über Korruptionsfälle im Heer zu berichten. Längst ist auch Guo Boxiong - Xi soll ihm in innigster Abneigung zugetan sein - ins Fadenkreuz der Ermittler geraten, ebenso wie sein Sohn, General Guo Zhenggang. Dabei nimmt es der starke Mann Chinas auch bewusst in Kauf, gegen ebenso starke Interessensgruppen vorzugehen, immerhin sind durch den Kauf von Ämtern Seilschaften und Abhängigkeiten entstanden; leitende Militärbeamte befürchten durch die Enthüllungen hingegen einen Ansehensverlust der Armee im Volk.

Stete Aufrüstung

Doch Xi Jinping geht es - neben der Absicherung der eigenen Macht - um mehr. China will militärisch aufrüsten und sich nicht länger mit einer Nebenrolle im globalen Kräftemessen zufriedengeben. Zwar ist der Wehretat trotz rückläufiger Wirtschaftsdaten auch in diesem Jahr wieder um 10,1 Prozent gestiegen, doch technologisch gibt es gegenüber dem Rivalen USA immer noch Aufholbedarf. Zu einer Wirtschaftsgroßmacht gehöre eben auch eine schlagkräftige Armee, heißt es in Peking, das zwar stets seine friedlichen Absichten beteuert, dabei jedoch den Status quo zumindest im asiatisch-pazifischen Raum infrage stellt.

Szenen wie 1996, als die USA mit ihren Flugzeugträgern in der Taiwan-Straße ihre Macht demonstrierten, sollten sich nicht mehr wiederholen; China baute sein Militär sukzessive von einer landgestützten Armee zu einer Seestreitkraft um. Gleichzeitig treiben das Waffenembargo der EU und andere Restriktionen die Volksrepublik zur Entwicklung eigener smarter Waffen, integrierter Kontrollsysteme und intelligenter Technologien. Die Volksbefreiungsarmee müsse ihre Kampfbereitschaft verbessern und in der Lage sein, eine Schlacht zu schlagen und zu gewinnen, forderte Xi Jinping bereits im Jahr 2013. Somit ist die Anti-Korruptionskampagne des Präsidenten auch Teil der Aufrüstung: Wer Feldzüge gewinnen will, braucht Mitstreiter, die über Kriegsführung nachdenken - und nicht über Geschäfte.