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Die Macht der Verlierer

Von Marina Delcheva

Politik

Negative Folgen der Globalisierung und die Ratlosigkeit der Politik treiben Wähler in die Arme von Populisten.


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Wien. Winston Churchill hat einmal gesagt: "Das beste Argument gegen die Demokratie ist ein fünfminütiges Gespräch mit dem Durchschnittswähler." Nun, ganz so einfach ist es nicht. Denn der Durchschnittswähler ist wütend, unzufrieden und in der Überzahl. Und das lässt er die etablierte Politik überall auf der Welt spüren.

"In einem Punkt würden auch die Österreicher Donald Trump wohl zustimmen: Die Finanzmärkte haben die Reichen noch reicher gemacht und die Armen ärmer, auch wenn das nicht so einfach ist", sagte der Ökonom Karl Aiginger bei seiner Antrittsvorlesung zum Thema "Globalisierung und Renationalisierung" an der Wirtschaftsuniversität Wien. Es ist diese Mischung aus Abstiegsangst, steigender Ungleichheit und einer Globalisierung und Technologisierung, die auch Verlierer mit sich bringen, die die Menschen in Massen zu Populisten wie Trump, Frankreichs Marine LePen aber auch zu Norbert Hofer treiben.

"Dieses Gefühl, dass es bergab geht, ist der Knackpunkt", sagt die Politologin Eva Zeglovits. "Trump hat die falschen Antworten auf richtige Fragen", so Aiginger. Und diese Antworten sind meist sehr simpel und international wirksam: Das Establishment repräsentiert euch nicht mehr. Schuld am Abstieg sind Kräfte von außen, vor die es sich abzuschotten gilt. Hinter den einfachen Parolen stecken jedoch komplexe Probleme, für die es keine einfachen Lösungen gibt.

Ungleichheit ist neue Armut

In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die weltweite Armut halbiert, erklärt der ehemalige Wifo-Chef Aiginger. Das liegt zum Teil an politischen Bestrebungen, zum Teil an der Globalisierung. Letztere hat eine Vielzahl von Gütern billiger und damit für eine Vielzahl von Menschen verfügbar gemacht. Die Lebenserwartung steigt zudem weltweit.

Auch in Österreich ist die Armut dank Umverteilung und sozialer Netze seit 2008 gesunken, wie Zahlen der Statistik Austria zeigen. Damals galten 15,2 Prozent der heimischen Haushalte als von Armut gefährdet. Sie verfügten also über weniger als 60 Prozent des österreichischen Medianeinkommens. Heute sind es nur noch 13,9 Prozent.

Gestiegen ist allerdings, trotz steigender Bruttolöhne, die Ungleichheit, und zwar weltweit und hierzulande. Die Realeinkommen der untersten Einkommensschichten sind gesunken, während jene in den höchsten Schichten gestiegen sind. Wenn jemand 1998 im untersten Einkommenszehntel umgerechnet 100 Euro verdient hat, ist dieses Einkommen 2013, bereinigt um die Inflation, auf 65 Euro gesunken, zeigen Zahlen der Statistik Austria. Das liegt vor allem daran, dass der Anteil an Teilzeit- und prekärer Beschäftigung gewachsen ist. Anders beim obersten Einkommensdezil. Dort stieg das real verfügbare Einkommen 2013 auf 104 Euro.

Eine Studie des Wirtschaftsforschungsinstituts im Auftrag des Sozialministeriums zeigt: Im Jahr 2000 betrug das durchschnittliche Einkommen der Löhne und Pensionen der obersten zehn Prozent der Bevölkerung vor Umverteilung das 10,8-Fache der untersten zehn Prozent. 2010 machte es bereits das 23,6-Fache aus. Was die Vermögensverteilung angeht - also Immobilien, Kapital -, wird der Unterschied zwischen Arm und Reich noch deutlicher. Laut Nationalbank verfügen die unteren 50 Prozent der Österreicher über vier Prozent des Bruttovermögens. Auf die obersten fünf Prozent entfallen 42 Prozent des verfügbaren Bruttovermögens.

"Armut ist immer etwas Relatives", sagt Zeglovits. Und es ist der Vergleich mit "denen da oben", der viele wütend macht. Auch wenn sich ein einfacher Arbeiter heute dank Billigprodukten aus China mehr kaufen kann als vor 30 Jahren, so Aiginger, kann er sich die teuren Luxusgüter nicht leisten. Und er fühlt sich bedroht. Durch die fortschreitende Technologisierung werden immer mehr einfache Jobs von Maschinen gemacht. Für die gut bezahlten Jobs fehlt es vielen aber an Qualifikation. Fast die Hälfte der heimischen Arbeitslosen hat nur einen Pflichtschulabschluss.

Ein heimischer Arbeiter steht im globalen Wettbewerb mit billigeren Arbeitskräften aus ärmeren Ländern. Hinzu kommen eine steigende Arbeitslosigkeit, die schlechter qualifizierte Menschen um ein Vielfaches härter trifft, und ein Überangebot an Arbeitskräften bedingt durch Zuwanderung.

Emotion als neue Währung

Ökonom Aiginger gibt der Politik die Schuld an dieser Entwicklung und an einer fehlenden Strategie im Umgang mit Globalisierung und Digitalisierung. Während wirtschaftlich mächtige Gruppen dank Lobbying gut vertreten worden seien, sei die Gruppe der unteren Schichten lange Zeit wenig beachtet worden. Das Bildungssystem in Österreich "ist sozial sehr undurchlässig".

Hinzu komme, so Politologin Zeglovits, ein Gefühl, selbst nichts mehr bestimmen zu können und die Stigmatisierung "Rechtswähler sind dumm". Diese gefühlte Abstiegsangst und die Wut auf jene, die jetzt regieren, beflügeln rechte und populistische Politiker. "Hierbei geht es nicht um rationale Argumente, sondern um Emotion", sagt sie. Und Trump, Strache und Co vermitteln, wenn man so will, ein Gefühl von Geborgenheit für alle Unzufriedenen und Enttäuschten. Ein Rezept für die Probleme dieser Gruppe brauchen sie dabei nicht, sind sich die Politologin und der Ökonom einig.

Simple Parolen wie "make America great again" (Donald Trump) und "Kanzler der Herzen" (Heinz-Christian Strache) wirken auch so. Die totale Abschottung bekommen übrigens wieder die Ärmsten am härtesten zu spüren. Würde Österreich seine Grenzen für Zuwanderung und billige Importe ganz dichtmachen, würde das unterste Zehntel 80 Prozent seiner Kaufkraft verlieren, die höchste Einkommensschicht nur 30 Prozent, so Aiginger.