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Dass der Wiener Stadtchef 1,4 Milliarden Euro im Alleingang verschieben kann, erlaubt ihm die Stadtverfassung.
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Nachdem die Wien Energie am Montag wegen Liquiditätsproblemen die Bundesregierung um eine finanzielle Absicherung in einer Höhe von 6 Milliarden Euro gebeten hatte, wurde bekannt, dass Bürgermeister Michael Ludwig (SPÖ) per "Notkompetenz" nach §§ 92, 93 der Wiener Stadtverfassung bereits am 15. Juli ein Darlehen von 700 Millionen Euro geleistet hat. Der Gemeinderat wurde darüber nicht in Kenntnis gesetzt. Und am Montag folgte eine weitere Tranche von 700 Millionen Euro. Man habe einen "Wiener Schutzschirm" aufgespannt, um die Versorgungssicherheit in Wien zu gewährleisten, erklärte er nach einer langen, vorangegangenen Funkstille gegenüber den Medien.
Dass der Bürgermeister einfach so 1,4 Milliarden Euro im Alleingang verschieben kann, ist nicht nur für die Opposition ein Skandal. Die bekannt gewordenen Geschäftsvorgänge seien "untragbar", erklärte sogar der Koalitionspartner in Person von Vizebürgermeister Christoph Wiederkehr (Neos) am Dienstag. Und er forderte "schonungslose Aufklärung". "Das aktuelle Krisenmanagement der Wien Energie ist unzureichend und ihrer Kommunikation fehlt jeglicher Willen zur Transparenz. Da werden mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet", betonte Wiederkehr und forderte eine Änderung der Regularien und Gesetze. Es brauche massive Kontrollrechte und Transparenzgebote. "Dazu gehört beispielsweise auch die Möglichkeit des Stadtparlaments, U-Kommissionen zur Überprüfung von Unternehmensbeteiligungen der Stadt Wien einzusetzen", so Wiederkehr. Aktuell ist eine U-Kommission nicht möglich, da ausgegliederte städtische Unternehmen nicht Untersuchungsgegenstand sein können. Dazu müsste zuvor das Stadtparlament eine neuerliche Änderung beschließen. Für den Wiener Bürgermeister ist die Nutzung der Notkompetenz ein normaler und legitimer Vorgang, wie er am Dienstag bei einem gemeinsamen Hintergrundgrundgespräch mit Finanzstadtrat Peter Hanke erläuterte. "Das ist in der Stadtverfassung so vorgesehen", sagte Ludwig. Ebenfalls in der Stadtverfassung vorgesehen sei auch, den Gemeinderat in seiner nächsten Sitzung darüber in Kenntnis zu setzen - und die finde im September statt. Dass man diese Informationspflicht vorzieht, sei nicht möglich, da dies die Tagesordnung nicht vorsehe, so Ludwig.
Die Notkompetenz
Im Wortlaut heißt es in der Wiener Stadtverfassung dazu: "§ 92 Der Bürgermeister ist berechtigt, bei dringlichen Fällen in Angelegenheiten, die in den Wirkungsbereich eines Gemeinderatsausschusses, des Stadtsenates oder des Gemeinderates fallen, unter seiner Verantwortung Verfügungen zu treffen, wenn die Entscheidung dieser Gemeindeorgane ohne Nachteil für die Sache nicht abgewartet werden kann. Er hat die Angelegenheit jedoch unverzüglich dem zuständigen Gemeindeorgan zur nachträglichen Genehmigung vorzulegen."
Weiters hat der Bürgermeister auch ein Arrogierungs- sowie auch Sistierungsrecht: Unter dem Arrogierungsrecht versteht man das Recht, Geschäftsstücke "an sich zu ziehen" und unter eigener Verantwortung zu erledigen. Das Sistierungsrecht wiederum bedeutet, dass ein Organ den Beschluss eines anderen Organs vom Vollzug aussetzen kann, beziehungsweise bei Vorliegen wichtiger Gründe aussetzen muss, um eine neuerliche Beschlussfassung über den Gegenstand einzuholen: "§ 93 Der Bürgermeister hat das Recht der Sistierung von Beschlüssen des Gemeinderates (§ 28 Abs. 3), des Stadtsenates (§ 48), der Gemeinderatsausschüsse (§ 54 Abs. 4) sowie der Bezirksvertretungen und ihrer Ausschüsse (§ 65), ferner die Befugnis, Gegenstände, die in den Wirkungsbereich des Magistrats fallen, ausgenommen Verwaltungsstrafsachen, selbst unter seiner eigenen Verantwortung zu erledigen."
Bei der Opposition spricht man einhellig von "Vertuschung" und betont dabei den letzten Satz von § 92: (. . .) "Er hat die Angelegenheit jedoch unverzüglich dem zuständigen Gemeindeorgan zur nachträglichen Genehmigung vorzulegen." Und das sei nicht erst bei der nächst folgenden Gemeinderatsitzung möglich, sondern viel früher mit einer Einberufung des Stadtsenats oder einen Umlaufbeschluss. "Wenn man gewollt hätte, wäre es kein Problem gewesen, sofort zu informieren", heißt es seitens der Wiener ÖVP.
Das ändert allerdings nichts daran, dass letzten Endes die 1,4 Milliarden Euro im September im Gemeinderat mit rot-pinker Mehrheit beschlossen werden können.