Die Anhörungen der designierten EU-Kommissare vergangene Woche waren die erste große Möglichkeit für das EU-Parlament, seine gestärkte Macht unter der neuen EU-Rechtsgrundlage des Lissabonner Vertrags zu demonstrieren. Mindestens zwei Kandidaten müssten daher durchfallen - dieses Ergebnis von den letzten Anhörungen im Jahr 2004 galt für manche Abgeordnete als Messlatte.
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Doch mit dem Zuwachs an Macht wächst auch das Maß der Verantwortung, wie führenden Parlamentariern klar war. Und wegen der Wirren um das Inkrafttreten des Lissabonner Vertrags braucht die künftige EU-Kommission ohnehin schon rekordverdächtig lange, bis sie im Februar endlich ihre Tätigkeit aufnimmt.
Ihre offizielle Amtszeit ist bereits seit Ende Oktober des Vorjahres abgelaufen. Seither agieren die scheidenden Kommissare geschäftsführend mit eingeschränkten Rechten. Daher haben sich die größten Fraktionen im EU-Parlament, die Europäische Volkspartei (EVP) sowie die Sozialisten und Demokraten (S&D) informell ausgemacht, die Kandidaten nach Möglichkeit durchzulassen.
Hat diese Balance bei der recht lauen Vorstellung der künftigen EU-Außenministerin Catherine Ashton zu Beginn noch gehalten, so kam es bereits am Dienstag zu heftigen Turbulenzen. Vor allem die Anhörung der bulgarischen Kommissarskandidatin für Humanitäre Hilfe verlief chaotisch. Ihr wurde vor allem vorgeworfen, ihre Finanzen und Interessen nicht vollständig offengelegt zu haben.
Darauf war Rumiana Jeleva aus unnachvollziehbaren Gründen nicht vorbereitet und erging sich in dem Stehsatz, dass sie nicht gegen bulgarisches Recht verstoßen habe. Diese wenig hilfreiche Taktik führte dazu, dass das Thema noch zusätzlich aufgebauscht wurde. Denn zu Jelevas Verteidigung muss gesagt werden, dass die Vorwürfe gegen sie scheinbar nicht fundiert waren. Hätte sie ansonsten brilliert, hätte sie vielleicht noch eine Chance gehabt - doch auch inhaltlich brachte sie nicht viel ein, stolperte über einfache Geografiefragen.
Entlarvend für das EU-Parlament war jedoch die reflexartige Attacke der EVP auf den slowakischen Kandidaten Maros Sefcovic wegen seiner umstrittenen Roma-Aussage. "Ungeeignet" sei er daher als EU-Kommissar, hatte EVP-Koordinator Jozsef Szajer gewettert. Genau das glauben viele Leute, die Sefcovic kennen, nicht.
Den parteilosen Spitzendiplomaten hat die sozialistische Regierung in Bratislava auch wegen seines guten Rufs nominiert. Sogar der Rat der slowakischen Roma-Organisationen lobte, dass er sich außerordentlich für ihre Interessen engagiert habe. Sollte seine Befragung am Montag also ein emotionsgeladenes Tribunal werden, wäre das ein Zeichen dafür, dass das EU-Parlament oder zumindest eine ganze Reihe von Abgeordneten noch ziemlichen Aufholbedarf im Umgang mit ihrer neuen Macht und vor allem gestiegenen Verantwortung haben.