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Die Macht von Erdöl und Erdgas über die Politik

Von Stefan Schleicher

Gastkommentare
Stefan Schleicher ist Professor am Wegener Center für Klima und globalen Wandel an der Karl-Franzens-Universität Graz.

Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt für zukunftsfähigere Strategien.


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Werden die Midterm-Wahlen in den USA am 8. November durch Saudi-Arabien entschieden? Dafür gibt es eine begründete Vermutung. Anfang Oktober traf sich in Wien das von diesem Staat geführte Opec-Plus-Ölkartell. Alarmiert durch einen Rückgang der Ölpreise um ein Drittel gegenüber den Werten im Sommer, wurde bei diesem Treffen eine deutliche Reduktion der Fördermengen beschlossen. Vergeblich versuchten die USA, diesen Schritt über diplomatische Interventionen zu verhindern. Der erwartete höhere Preis für Erdöl war für das Kartell offensichtlich wichtiger als ein Signal an das mit dem Kartell verbundene Russland, mit den höheren Öleinnahmen nicht den Krieg in der Ukraine zu finanzieren.

Nach China sind die USA der größte Importeur von Rohöl und somit den globalen Ölpreisen ausgesetzt. Obwohl im Vergleich zu Europa die Preise für Benzin und Diesel an den Zapfsäulen weiterhin nur rund halb so hoch sind, werden die derzeitigen Treibstoffpreise in den USA als belastend empfunden, da es nur wenig Alternativen zum privaten Auto gibt. Das Ergebnis sind empirisch messbare Zusammenhänge zwischen einem Anstieg der Treibstoffpreise und einem Einbruch beim Vertrauen in die wirtschaftliche Lage und in den Präsidenten, obwohl dieser die Treibstoffpreise kaum beeinflussen kann. Für die Partei der Demokraten bedeutet dies die Bedrohung der hauchdünnen Mehrheit im Senat verbunden mit einer Abgabe der Mehrheit im Repräsentantenhaus. Ein solcher Machtwechsel hätte auch für Europa vielfältige politische Folgen.

Noch deutlicher hat die EU in den letzten Monaten diese Macht von Erdöl und zusätzlich von Erdgas über die Politik zu spüren bekommen. Durchaus erfolgreich waren bisher die Anstrengungen, die Liefermengen aus Russland zu reduzieren und vor allem bei Gas durch gefüllte Speicher und neue Lieferanten den Bedarf für den kommenden Winter zu sichern. Eine kritische Diskussion verdienen jedoch die bis dahin unvorstellbar hohen finanziellen Unterstützungen für Haushalte und Unternehmen zur Kompensation der hohen Inflation, speziell bei Energie. In Österreich nähern sich diese Transfers dem Volumen der Covid-Hilfen somit einem Zehntel der am Bruttoinlandsprodukt gemessenen jährlichen Wirtschaftsleistung.

Die Notwendigkeit solcher Transfers ist nicht für jene Haushalte infrage zu stellen, deren Anteil bei der Armutsgefährdung sich auf ein Drittel zubewegt. Verständlich ist auch der Versuch der Politik, durch großzügige Cash-Geschenke populistischen Oppositionen den Nährboden zu entziehen. Jetzt wäre aber der Zeitpunkt für zukunftsfähigere Strategien gekommen, um die Umklammerung der Politik durch die Abhängigkeiten bei Energie zu lösen. Dafür ist immer ein viel sorgsamerer Umgang mit Energie zu propagieren, unterstützt durch innovative Anreize. Beispiele dafür sind Preise, die mit den konsumierten Mengen steigen, oder Transfers für Verbrauchsreduktionen. Der aktuelle Verfall der Preise für Gas - mit kurzfristig sogar negativen Preisen - ist ein weiterer Hinweis auf die Risiken der Märkte und soll eine politische Schubumkehr nicht behindern.

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