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Kurz nach der Verabschiedung umstrittener Sicherheitsgesetze setzt Japans Premier wieder auf die Trumpfkarte Wirtschaft. Er verspricht dabei fast Unmögliches.
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Tokio. Es ist eine große Ankündigung: Der japanische Premierminister Shinzo Abe sagte vor wenigen Tagen, er wolle das Bruttoinlandsprodukt auf 600 Billionen Yen (4,5 Billionen Euro) steigern. Das wären 20 Prozent mehr als im vergangenen Geschäftsjahr, das im März endete. Bis wann, ließ er offen.
Ökonomen haben ihre Zweifel. Denn dafür müsste die Wirtschaft so stark wachsen wie in den letzten zwei Jahrzehnten nicht. Für Politbeobachter ist das nur eine Strategie, um das Volk nach Monaten der Kontroverse um Sicherheitsgesetze, die Mitte September verabschiedet wurden, hinter sich zu vereinen und die lautstarke Proteste, die das ganze Land erfassten, zum Verstummen zu bringen.
Tatsächlich hat sich das politische Klima bereits verändert. Die Handgreiflichkeiten unter Parlamentsabgeordneten, die Demonstrationen von Zehntausenden vor dem Parlament gegen die Sicherheitsgesetze Mitte September - das alles scheint auf einmal sehr weit weg. Abe trug seinen Teil dazu bei: "Heute treten die Abenomics in ihre zweite Phase ein", verkündete er kürzlich in seiner Antrittsrede, nachdem er als Parteiführer der Liberaldemokraten (LDP) bestätigt worden war.
Kritik von Ökonomen
Sein Ziel, das BIP um 20 Prozent zu steigern, brachte Abe viele Schlagzeilen, aber auch viel Kritik von Ökonomen ein. Hiromichi Shirakawa, Chefökonom bei Credit Suisse Securities Japan, sagte vor Journalisten, dass Abe keine klaren Angaben zum Zeitplan gemacht habe. "Ich vermute, er meinte bis 2020, aber wenn dem so ist, dann hat Abe so gut wie null Chancen, das zu schaffen", sagte Shirakawa. Kosuke Motani, leitender Ökonom beim Japan Research Institute, sagte: "Die Ziele sind völlig unrealistisch. Deswegen wird darüber nicht einmal mehr groß diskutiert."
Abe stellte außerdem seine Prioritäten für die kommende dreijährige Amtszeit vor. Er habe drei Ziele: die Förderung des Wirtschaftswachstums, mehr Unterstützung für die Kindererziehung, um die niedrige Geburtenrate anzuheben, und mehr Betreuungseinrichtungen für Senioren.
Neu ist das jedoch nicht; mit solchen Versprechen trat Abe bereits im Wahlkampf 2012 an. An einer erfolgreichen Strategie soll man nicht rütteln, scheint sein Kalkül zu sein. Die Wirtschaft ist seine Trumpfkarte. Dank ihr gewann er die Unterhauswahlen Ende 2012 und nahm den Demokraten (DPJ) die Regierungsgewalt ab. Die Wähler wollten Abes Versprechen nach mehr als 20 Jahren, in denen die "Japan Inc." nicht an vergangene Erfolge anknüpfen konnte, nur zu gerne glauben.
Anfangserfolge
Zwei Jahre lang schien der erzkonservative Politiker seine nationalistischen Ambitionen hintanzustellen. Diese hatten seine erste, einjährige Amtszeit von 2006 bis 2007 charakterisiert und zu seinem vorzeitigen Rücktritt geführt. Stattdessen schien der Premier nun mit seiner einprägsam "Abenomics" getauften Wirtschaftspolitik sein Wahlversprechen einzulösen. Anfangserfolge, wie eine Abwertung des Yen und eine Begeisterung an der Börse, vor allem unter ausländischen Investoren, schienen ihn zu bestätigen. Auch wenn unter Ökonomen umstritten ist, wie viel davon "Abenomics" zuzuordnen ist.
Für den "kleinen Mann" änderte sich indes wenig. Die Verbraucherpreise stiegen, die Löhne und Gehälter aber nicht oder nur langsam. Zwar appellierte Abe an die Industrie, mehr zu bezahlen. Es folgten vor allem Großkonzerne, nicht zuletzt aus Imagegründen. Die japanische Wirtschaft wird aber von kleinen und mittelständischen Unternehmen getragen - und diese blieben skeptisch und bezahlten nicht mehr.
Abe kündigte wiederholt an, 30 Prozent der Führungspositionen bis 2020 mit Frauen zu besetzen. Die bisherigen Ergebnisse nach knapp drei Jahren im Amt sprechen jedoch gegen ihn. In fünf Jahren von gegenwärtig 10 auf 30 Prozent Frauen in der Chefetage zu kommen, klingt unwahrscheinlich.
Magere Bilanz
"Ich glaube nicht, dass die japanische Regierung für die zweite Phase der Abenomics etwas in der Pipeline hat", sagte der Credit-Suisse-Ökonom Shirakawa. Er fordert, dass Abe endlich die versprochenen Strukturreformen angeht und regt mehr Mobilität auf dem Arbeitsmarkt an, darunter die Möglichkeit, Mitarbeiter leichter als bisher zu entlassen. Das Heer an Büroarbeitern müsse abgebaut werden. Doch die Bilanz der Arbeitsmarktreformen der Abe-Regierung ist bisher mager. Gerade ein Gesetz über Zeitarbeiter hat sie durchgebracht. Und das werde die Lage der wachsenden Zahl von Arbeitnehmern in prekären Arbeitsverhältnissen noch verschlimmern, monieren Kritiker.
Was Abes Kampf gegen die Deflation angeht, sieht es nicht besser aus: Der Preisindex fiel im August zum ersten Mal seit zwei Jahren. Das kam einen Tag, nachdem Abe verkündet hatte, die Deflation besiegt zu haben, ans Tageslicht. Das von Abe angekündigte Ziel, zwei Prozent Inflation zu erreichen, ist in weite Ferne gerückt, der dafür anvisierte Zeitraum von zwei Jahren schon vorbei. Abe wisse, dass die extrem lockere Geldpolitik, mit der er damals der Deflation den Kampf ansagte, nicht funktioniere, sagt Shirakawa.
Weltmachtstreben
Im Rückblick drängt sich der Eindruck auf, dass "Abenomics" nur ein Ablenkungsmanöver war, das dem erzkonservativen Politiker ermöglichen sollte, seine eigentliche Agenda voranzutreiben. Abe will das ostasiatische Land zur präsenten, einflussreichen Weltmacht machen und vor allem den Patriotismus bei seinen Landsleuten wecken.
Dazu will Abe die pazifistische Nachkriegsverfassung ändern. Die von den Amerikanern nach dem Krieg entworfene Verfassung ist Konservativen wie ihm ein Dorn im Auge. Weil die Hürden für eine Verfassungsreform hoch sind, griff Abe zu einem Kniff: Er interpretierte sie per Kabinettsbeschluss so um, dass sie in seine Strategie passt. Dadurch hat Japan nun die Möglichkeit zur "kollektiven Selbstverteidigung". Japanische Soldaten können nun erstmals seit 70 Jahren mit Waffengewalt ihren Verbündeten, vor allem den USA, im Konfliktfall zur Hilfe kommen, auch wenn Japan nicht direkt angegriffen wird. Das war den sogenannten Selbstverteidigungsstreitkräften bisher nicht erlaubt.
Die überwiegende Mehrheit der Japaner ist dagegen, dass japanische Soldaten nun auf fremden Territorien kämpfen sollen. Das brachte Abes bisher mit rund 50 Prozent recht hohe Zustimmungsrate zum Absturz auf unter 38 Prozent.
Nun sollen es Abes alte Wirtschaftsversprechen in neuen Gewändern richten. Ob das bei den Wählern ankommt, werden die Oberhauswahlen im Sommer 2016 zeigen. Bisher spielt Abe im zweiten Anlauf als Premier sehr erfolgreich: Er gewann die Wahlen dank seiner Wirtschaftsversprechen und drückte en passant durch, was ihm offenbar wirklich am Herzen lag.