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Die Mär von der Normalität

Von Walter Hämmerle

Leitartikel
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"Anleger reißen sich um griechische Staatsanleihen", so titelten am Donnerstag Agenturen und Medien: Mitunter gelingt es, einen Zustand verwirrter Orientierungslosigkeit in knappe Worte zu fassen - "Griechenland" und "Anleger" passen gemeinhin ja ähnlich gut zusammen wie Feuer und Wasser.

Tatsächlich lässt sich mit ein wenig Geschick die griechische Tragödie zur Erfolgsgeschichte ummünzen. Die Anleihen waren schließlich wirklich um ein Vielfaches überzeichnet, der Zinssatz von fast 5 Prozent kein Vergleich zu den 30 Prozent am Höhepunkt der Krise.

Hinzu kommt, dass Griechenland 2013 einen Primärüberschuss (ohne Zinsbelastungen) von drei Milliarden Euro erzielte. Bezogen auf das BIP sank das Minus binnen vier Jahren von 15,6 auf 4,7 Prozent. Und jetzt die umjubelte Rückkehr der "Pleite-Griechen" an die Finanzmärkte.

Das ist der Stoff, aus dem politische Mythen von Rettung und Wiederauferstehung gesponnen werden. Selbst in unseren so säkularen Zeiten ist der Bedarf an solchen Geschichten hoch, und wenn Wahlen vor der Tür stehen, umso mehr.

Wie es der Zufall will, finden Ende Mai die Wahlen zum EU-Parlament statt. Für die wacklige Koalition in Athen geht es dabei um das nackte politische Überleben. Sollte es der linkspopulistischen Syriza-Partei gelingen, stärkste Kraft zu werden, rechnen Beobachter mit baldigen Neuwahlen in Griechenland. Mit der Reformpolitik, die das Land in ein funktionierendes Gemeinwesen nach europäischen Maßstäben umzuwandeln versucht, könnte es dann vorbei sein. Die Euro-Krise wäre mit Wucht zurück.

Die Ruhe war ohnehin trügerisch. Die Inszenierung über die wundersame Genesung Hellas veranschaulicht dies. Nüchtern betrachtet steckt das Land nämlich weiter bis über beide Ohren in Problemen. Der Gang an die Finanzmärkte ist deshalb vor allem der Versuch, so etwas wie Normalität vorzutäuschen. Dafür nimmt das Land sogar in Kauf, deutlich höhere Zinsen berappen zu müssen, als es über den Umweg der Troika-Hilfspakete der Fall wäre. Zugeschlagen haben hier vor allem ausländische Investoren. Deren Vertrauen in die Solidarität der europäischen Steuerzahler ist offensichtlich zurückgekehrt.

Immerhin, dass die Griechen am Donnerstag erneut zum Generalstreik gerufen wurden, ging in den Jubelmeldungen gänzlich unter.