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Die Marke "islamistischer Terrorismus"

Von Liza Ulitzka

Gastkommentare
Liza Ulitzka hat Kultur- und Sozialanthropologie mit Spezialisierung auf den Nahen und Mittleren Osten studiert. Sie ist Ressortleiterin Politik bei den Puls4 News.

Auf Lkw-Attentate in Europa und Israel folgen vereinfachende Kommentare. | Die Geschichte einer undifferenzierten Etikettierung.


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Erst Nizza, dann Berlin und nun Jerusalem: Ein Mann rast mit einem Lkw in eine Gruppe von Menschen und tötet sie, indem er sie überrollt. Im Fall von Jerusalem fährt der Attentäter mehrmals vor und zurück, um möglichst viele zu erwischen, berichten Augenzeugen. Vier Menschen tötet er, dreizehn werden verletzt.

Es ist blutrünstig, es ist grausam und es ist, als würden die Täter mit diesem Manöver jedes Mal erneut durch die offenen Wunden pflügen, die seit dem jeweils vorherigen Anschlag noch weit geöffnet sind. Ob Berlin kurz vor Weihnachten, Nizza im Sommer oder Jerusalem kurz nach dem Jahreswechsel - es ist immer dasselbe Muster, und die Überlebenden fragen sich: Wo wird es als Nächstes passieren? Der Sprecher der deutschen Kanzlerin Angela Merkel twitterte nach dem Anschlag in Jerusalem eine offizielle Stellungnahme: "Wir fühlen uns den Menschen in Israel und dem Staat Israel in diesen Stunden besonders verbunden. Wir denken an den grausamen Anschlag auf den Weihnachtsmarkt in Berlin. Wir erkennen ein weiteres Mal: Der islamistische Terrorismus ist eine schwere Prüfung für viele unserer Partner weltweit."

Israels Premier Benjamin Netanjahu meinte wenige Stunden nach dem Anschlag von Jerusalem, dass der Täter ein Anhänger des IS sei und es Verbindungen zu den Attentätern von Berlin und Nizza geben könnte. Viele Kommentatoren sehen Europa seit den zahlreichen Anschlägen der vergangenen beiden Jahre überhaupt schon in "israelischen Verhältnissen" und meinen, man müsse mit der täglichen Angst und Bedrohung leben lernen.

So weit, so einfach. Nur haben Anschläge in Europa und Israel politisch nichts gemeinsam, auch wenn das viele gerne so sehen. Der Attentäter in Jerusalem vom Wochenende war Palästinenser und hat israelische Soldaten angegriffen, keine Zivilisten wie in Berlin und Nizza. Und selbst wenn es sich bei den Opfer von Anschlägen in Israel um Zivilisten handelt, was auch oft genug der Fall ist, sind all diese Taten letztendlich ein Ausdruck verzweifelten Widerstandes gegen die israelischen Besatzer, die die palästinensische Bevölkerung seit Jahrzehnten in Gaza und im Westjordanland schikanieren und töten. Wenn Israels Premier und auch die deutsche Regierung das Jerusalemer Attentat jetzt mit dem allgemeinen Etikett "islamistischer Terrorismus" versehen, negieren beide vollkommen sowohl die Geschichte der Staaten Israel und Palästina als auch die Ursache für islamistischen Terrorismus, der aus Kontexten wie Afghanistan, Syrien oder dem Irak entsteht. Für Politiker von Weltrang ist das im besten Fall Fahrlässigkeit aus Unwissenheit, im schlimmsten Fall ist es Irreführung der Öffentlichkeit durch vereinfachte Erklärungen. Beides ist verantwortungslos. Die Ursachen für Terror müssen klar benannt und unterschieden werden, sonst werden wir diese mörderische Seuche nicht bekämpfen können.