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Die Medizin folgt dem Geld

Von Von Franz Zauner und Andreas Yiasemi (Daten)

Politik

Je höher das Durchschnittseinkommen im Bezirk, desto besser ist die ärztliche Versorgung.


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Wien. Fällt es leicht oder schwer, im eigenen Bezirk einen Arzt zu finden? Die "Wiener Zeitung" hat frei verfügbare Daten wie Bevölkerungszahl, Einkommen, Durchschnittsalter gesammelt und mit dem Praxisangebot in Wien korreliert. Das in seiner simplen Eindeutigkeit doch überraschende Ergebnis: Je ärmer oder bevölkerungsreicher ein Bezirk ist, umso weniger niedergelassene Ärzte stehen zur Verfügung.

Favoriten, Simmering und die Donaustadt zählen zu den bevölkerungsreichsten Bezirken in Wien. Ausgerechnet hier gibt es aber pro Kopf die wenigsten Ärzte. Während im 10. und 11. Bezirk auf 1800 Einwohner ein Allgemeinmediziner kommt, ist das Verhältnis im 1. Bezirk mehr als zehnmal besser: In der Innenstadt teilen sich statistisch etwa 170 Einwohner einen Allgemeinmediziner. Auch in den inneren Bezirken und in Währing, Hietzing und Döbling ist die fiktive Warteschlange deutlich kürzer. Zwischen vier- und fünfhundert potenzielle Patienten kommen in diesen eher wohlhabenderen Bezirken im Durchschnitt auf einen praktischen Arzt.

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Bei Fachärzten zeigt sich ein ähnliches Bild: Für 4800 Kinder unter 14 Jahren steht in Favoriten im Durchschnitt nur ein Kinderarzt zur Verfügung. Im 8. Bezirk kommen auf einen Facharzt der Kinderheilkunde nur etwa 280 Jung-Patienten. 7900 beziehungsweise 9600 Patientinnen teilen sich im 10. und 11. Bezirk einen Frauenarzt oder eine Frauenärztin. Im 8. Bezirk nimmt sich die Quote deutlich besser aus: Hier treffen statistisch lediglich 621 Patientinnen auf einen Facharzt der Frauenheilkunde.

Wahlarzt-Praxen boomen

Während Kassenordinationen statistisch eher normalverteilt über die Stadt verstreut sind, ordinieren besonders Wahlärzte dort, wo wohlhabendere Patienten zu Hause sind: Je mehr die Bewohner eines Bezirks verdienen, desto höher die Zahl der Ärzte pro Kopf.

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Die Zahlen spiegeln auch die steigende Salonfähigkeit der Privatmedizin wider, denn es gibt mittlerweile entschieden mehr Wahlarzt- als Kassenpraxen. Das Zählrad dreht sich auf der Seite der Wahlärzte geschwind wie im Zeitraffer: Seit dem Jahr 2010 ist ihre Zahl um 348 auf insgesamt 2827 Wahlarztpraxen angestiegen. Die Zahl der Mediziner mit Kassenvertrag schrumpft hingegen. Derzeit ordinieren laut Ärztekammer 1577 Kassenärzte - 783 Allgemeinmediziner und 798 Fachärzte - in der Bundeshauptstadt. Im Jahr 2000 waren es noch 1668. Und das, obwohl Wien eine der am schnellsten wachsenden Städte Europas ist. (Der Hauptverband der Sozialversicherungsträger beurteilt die Entwicklung anders: Nach einer Statistik, die uns Hauptverbands-Chef Peter McDonald Freitagabend übermittelte, stieg die Zahl der Kassenordinationen seit 1970 kontinuierlich an. Die österreichische Bevölkerung wuchs demnach um 14 Prozent, die Zahl der Vertragsärzte stieg im selben Zeitraum um 36 Prozent.)

Experten beschreiben den Überhang an Wahlarztpraxen einerseits als Folge einer Not. Bei Fachärzten wartet man mitunter wochenlang auf einen Kontrolltermin. Beim Wahlarzt geht es schneller. Andererseits gilt es auch als Tugend der Privatmedizin, dass sie viel Zeit für den einzelnen Patienten erübrigt. Ob es wirklich so ist, lässt sich objektiv nicht sagen: Es gibt keine systematische Datenerhebung für den Wahlarztbereich.

Immer mehr Patienten sind aber offensichtlich bereit, sich den Besuch beim Wahlarzt zu leisten. Um die 100 Euro (mit Spielraum nach unten und oben) kostet in der Regel eine Konsultation. Von der Kasse werden nur 80 Prozent des für die ärztliche Leistung veranschlagten Kassentarifs refundiert, der ohnehin nur einen Bruchteil der Arztrechnung ausmacht.

Paradoxerweise helfen die Wahlärzte so den Krankenkassen beim Sparen. Würde die Krankenkasse die Wahlarzt-Leistungen gemäß ihren Honorarsätzen abgelten, müsste sie allein in Wien jedes Jahr drei Millionen Euro mehr aufwenden.

Die Stakeholder des Gesundheitssystems beurteilen diese Entwicklung naturgemäß unterschiedlich. Für Johannes Steinhart, Obmann der Kurie niedergelassene Ärzte und Vizepräsident der Ärztekammer für Wien, ist die beschriebene Datenlage ein "erstes Anzeichen einer Zweiklassenmedizin".

Die Nachfrage steigt

Sowohl Ärzte als auch Patienten würden sich aber lediglich den "aktuellen Tendenzen der Gesundheitspolitik" anpassen: "Wahlärzte siedeln sich selbstverständlich dort an, wo die Nachfrage nach ihren Leistungen am größten ist. Wenn Patientinnen und Patienten gewünschte Leistungen und Rahmenbedingungen im Kassenbereich nicht vorfinden, weichen sie, wenn sie es sich leisten können, in den Wahlarztbereich aus."

Die, die es sich nicht leisten können, sind aber "auf ein funktionierendes Kassensystem angewiesen". Die Ärztekammer fordert deshalb für Wien 300 Kassenordinationen mehr.

Ingrid Reischl, Obfrau der Wiener Gebietskrankenkasse (WGKK), sieht die Statistik eher auf ihrer Seite: "Wien weist im österreichweiten Vergleich die höchste Ärztedichte auf." Internationale Studien, etwa von der OECD, bescheinigen Österreich auch im europäischen Vergleich Bestwerte beim Ärzte-Angebot.

Die Qualität der medizinischen Versorgung ist für Reischl nicht nur eine Frage des Wohnorts: "Viele Personen nehmen fachärztliche Leistungen gerne in der Nähe ihres Arbeitsplatzes in Anspruch. Daher ist die Verteilung von Facharztstellen über die Bezirke nicht immer mit den bestehenden Einwohnerzahlen zu begründen, sondern es sind auch die Arbeitsplätze zu berücksichtigen. Das erklärt auch die außergewöhnlich hohe Facharztdichte im ersten Bezirk."

Auf die Bevölkerungsdynamik reagiert die WGKK mit einem "Strukturförderungstopf", der 2014 eingerichtet wurde: In schnell wachsenden Bezirken sollen daraus zusätzliche Arzt- und Facharztstellen finanziert werden, "speziell in den Fachbereichen Kinder- und Jugendheilkunde, Frauenheilkunde sowie Neurologie und Psychiatrie".

"Nicht nur Köpfe zählen"

"Die Zahl der Ärztinnen und Ärzte bedeutet natürlich etwas, aber nicht alles", meint die Mathematikerin Ines Czasný, die bei der "Österreichischen Gesellschaft für Gesundheit" stellvertretende Leiterin der Abteilung für Planung und Systementwicklung ist: "Es genügt nicht, die Köpfe zu zählen." Man müsse sich die "Versorgungswirksamkeit" einer Praxis ansehen. Ein Kassenpraxis, die jeden Tag offen hält, bietet eine effektivere Versorgung als etwa eine Wahlarztpraxis, die ein Spitalsarzt nebenbei betreibt. Es gibt, so ihr Resümee, generell in Österreich keinen Ärztemangel, aber Verteilungsprobleme.

Für sie stellen sich grundsätzliche Fragen: Bei Ärztedichten, Krankenhausaufenthalten, Mitteleinsatz liegt Österreich im internationalen Vergleich durchaus im obersten Bereich. Aber, so Czasný, "was heißt das für unsere Gesundheit, unsere Lebensqualität und für unsere Lebenserwartung? Stimmt die Relation zwischen Mitteleinsatz und Ergebnis?"

Zur Dossierübersicht: http://www.wienerzeitung.at/arzt-in-wien/

Arztpraxen in Wien (CSV zum Download)
Bevölkerungsdaten Wien (CSV zum Download)