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Die Mehrheit als geringstes Übel

Von Walter Hämmerle

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Dass jeder zu allem eine Meinung hat, muss man ja mittlerweile notgedrungen akzeptieren. Was das für die Politik bedeutet, ist noch offen.


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Mehrheit ist Mehrheit. Sollte man jedenfalls glauben. Tatsächlich ist das banale Auszählungsergebnis einer Abstimmung längst nicht mehr ausreichend, die damit verbundene Sachentscheidung auch inhaltlich zu legitimieren. Mindestens so wichtig ist es, wer wie abgestimmt hat.

Die Debatte im Anschluss an die Volksbefragung über die Einführung eines Berufsheeres war diesbezüglich nur das jüngste Beispiel, als mit einiger Leidenschaft die Möglichkeit erörtert wurde, dass in diesem Fall die Jüngeren von den Älteren schlicht überstimmt worden sein könnten. Und ob, falls es denn so wäre, eine solche Entscheidung nicht überhaupt als demokratisch höchst problematisch anzusehen wäre. Schließlich oktroyiere hier eine strukturelle Mehrheit - die Alten - einer strukturellen Minderheit - den Jungen - ihre Sicht der Dinge auf.

Diese Argumentation kann man nun als die Meinung schlechter Verlierer abtun, die mit allen sophistischen Wassern gewaschen, unbedingt im Recht bleiben wollen. Moralisch halt zumindest.

Genau so gut natürlich kann man die Problematik ernst nehmen. Nur werden dann - notwendigerweise, muss man hinzufügen - mehr Fragen aufgeworfen als beantwortet.

Geht man die Sache etwas grundsätzlicher an, sollte die Frage Mehrheit oder Minderheit in einer Demokratie eigentlich keine Rolle spielen, schließlich verspricht diese Herrschaftsform in ihrer idealtypischen Konzeption die Einheit von Regierten und Regierenden. Allerdings hat sich dieses herrschaftsfreie Theoriekonstrukt in der Praxis - bisher zumindest - nicht umsetzen lassen. In der Folge hat sich als Herrschaftsform mit der größtmöglichen Akzeptanz das Mehrheitsprinzip in verschiedenen Abstufungen durchgesetzt. So benötigen etwa grundrechtlich heikle Fragen wahlweise eine Zweidrittelmehrheit oder doppelte Mehrheiten, etwa in der Schweiz (von Bürgern und Kantonen) oder der EU (Abgeordneten und Mitgliedsstaaten); und im internationalen Bereich ist auch das Prinzip der Einstimmigkeit durchaus anerkannt; Letzteres kann man, je nach Geschmack und Standpunkt eben, entweder als bestmöglichen Schutz für Minderheiten oder aber als Diktatur der kleinstmöglichen Zahl beschreiben. All diesen Varianten des Mehrheitsprinzips liegt die Annahme zugrunde, dass jede Stimme gleich viel zählt (nur Staaten pochen mitunter auf Gewichtungen nach ökonomischen und/oder militärischen Faktoren).

In den alten Zeiten war die demografische Regel ja so, dass wenige Alte auf viele Junge kamen. Dafür hat man den Senioren aufgrund ihrer Lebenserfahrung zugetraut, die Geschicke des Gemeinwesens so zu lenken, dass es für alle das Beste war.

Heute bestimmen noch immer die Älteren, wo es langgeht. Im Unterschied zu einst stellen sie mittlerweile allerdings auch die Mehrheit der Bürger. Sollte das negativen Einfluss auf ihre Weisheit im Sinne des größeren Ganzen haben, stehen uns spannende Grundsatzdebatten ins Haus. Dann müsste man Demokratie völlig neu denken. Eher ist allerdings zu vermuten, die Sache mit den Jungen und Alten war nur ein Ablenkungsmanöver.