Der Online-Forscher und Politologe Glauser sah Donald Trump immer als Favoriten bei der Wahl. Er erklärt im Interview, wieso die Umfrageergebnisse lügen und warum die Corona-Erkrankung Trump zusätzlich geholfen hat.
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Lange hat es in den Umfragen und Prognosen geheißen, Joe Biden hat eine Chance von 4:1, Donald Trump zu schlagen. Der Schweizer Datenforscher Christoph Glauser und sein Team haben diesen Umfragen nie geglaubt. Glauser hatte schon 2016 den Sieg Trumps gegen Hillary Clinton prophezeit, und im September im Interview mit dieser Zeitung die Wiederwahl Trumps prognostiziert - wider den Mainstream der Forscher. Sein Geheimnis: Glauser wertet alle 247 Millionen Internet-Nutzer in den USA aus.
Wiener Zeitung:Sie haben im September gesagt, dass Ihre Daten auch dieses Mal Trump einen Vorsprung bescheinigen. Zuletzt hat sich das Rennen, auch Ihrer Meinung nach, noch verdichtet, aber mit einem solchen Trump-Erfolg
haben wenige gerechnet. Wieso haben Sie recht gehabt und wieso haben die anderen nicht recht gehabt?
Christoph Glauser: Man muss den Demoskopen zugutehalten, dass derzeit wirklich schwierige Verhältnisse herrschen. Die Amerikaner haben keine Erfahrungen mit Briefwahlen. Klassische Meinungsumfragen leben davon, dass man Menschen befragt, die aus dem Lokal herauskommen und gerade eben ihre Stimme abgegeben haben. Andererseits denke ich, dass das Instrument der Befragungen ausgedient hat. Die Menschen sind nicht mehr bereit, ehrlich Auskunft zu geben. Außerdem wählen in den USA viele Menschen Trump, die sich insgeheim dafür schämen und nicht dazu stehen, wenn sie dazu befragt werden. In diesem Sinne sind unsere Auswertungen der Internet-Suchen spannender, weil das unverfälschte Daten sind.
Sie haben damit das Phänomen des sogenannten Silent Voter angesprochen, ein Wähler, der sich dazu ausschweigt, was er wählen wird. Die Republikaner haben aber im Vorfeld den Silent Voter für sich reklamiert und gesagt, ihre Prognose würden auf ein ganz anderes Ergebnis deuten als die offiziellen Umfragen. Damit waren sie im Endeffekt näher bei der Wahrheit. Oder haben die Republikaner nach dem Prinzip Hoffnung agiert und sich gedacht: Die Realität wird dem schon folgen?
Es sind die Unentschlossenen besser mobilisiert worden. Trump ist natürlich ein bisschen ein Demagoge, weil, was viele Leute aufgenommen haben, waren seine Behauptungen, dass Joe Biden ein Marxist ist und mit ihm der Sozialismus in Amerika ausbricht. Auch wenn in den USA viele nicht wissen, was das genau bedeutet. Die sind ja weit weg von der geschichtlichen Dimension von Marxismus und Sozialismus. Die verstehen etwas ganz anderes darunter, als wenn man beispielsweise Leute in Wien dazu befragen würde. Aber das Argument hat gewirkt. Schließlich haben es sogar Latinos, Schwarze und Leute aus der weißen Arbeitschaft als Meinung weitergereicht - und behauptet, Joe Biden würde einen marxistischen Staat in den USA errichten.
Die klassischen Umfragen sind in den verschiedenen Staaten bis zu 40 Prozent danebengelegen. Haben Umfragen überhaupt jemals funktioniert? Und wieso versagen sie jetzt?
Das hängt ein bisschen mit der ganzen Überwachungsdiskussion zusammen. Die Menschen haben generell das Gefühl, sie werden permanent ausgehorcht und ausgefragt. Dazu gibt es inzwischen zahlreiche wissenschaftliche Publikationen. Das macht Menschen skeptisch. Man hat den Eindruck: Alles, was ich von mir preisgebe, wird dann gegen mich verwendet. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass man nicht mehr das sagt, was man meint und dann auch wählt. Sondern man sagt das, was von einem erwartet wird. Oder dass man das Gegenteil behauptet, was eigentlich Meinung ist. Das macht die Sache extrem schwierig, da müssten Sie schon mit einem EEG in die Köpfe hineinschauen können.
Sie sind mit Ihrem Ansatz, Internet-Suchen zu verwenden, eigentlich schon sehr nah an einer Art EEG des 21. Jahrhunderts dran. Sie werten aus, was in die Suchmasken eingegeben wird.
Genau. Weil sich die Menschen auf allen verschiedenen Kanälen, natürlich auch neben der Internet-Suche auch Social Media und E-Shops, frei bewegen. Sie wissen dort zwar auch, dass sie überwacht beziehungsweise von den Tech-Giganten verfolgt werden. Trotzdem empfinden sie die Informationssuche im Internet als etwas ganz Privates. Aktive Suche bedeutet dann auch aktives Interesse. Diesen Effekt können wir gut ausnützen für unsere Prognosen. Zumal wir auch viel höhere Zahlen haben. Wenn Sie Umfragen haben, müssen Sie ja immer von einem gewissen Prozentsatz auf 100 Prozent hochrechnen. Und bei diesen Hochrechnungen passieren eben sehr viele Fehler.
Das klingt so logisch, dass ich mich frage, wieso das bei den großen Umfrageinstituten in den USA nicht gemacht wird. Bei den Pollstern muss es doch auch Leute geben, die das Internet-Verhalten ähnlich auswerten können?
Es wird von den einzelnen Anbietern schon gemacht, aber es ergibt kein Gesamtbild. Google hat Google-Daten, Facebook hat Facebook, Amazon ebenfalls Amazon. Der Nachteil ist, dass die alle auch eine bestimmte Klientel haben - und daraus auf die Gesamtbevölkerung schließen müssen. Wir verfolgen diesen Multi-Channel-Ansatz und versuchen, alle Kanäle in einem Land gut und unabhängig zu messen. Das funktioniert natürlich besser, als wenn man sich nur die einzelnen Kanäle ansieht.
Sie haben schon am Dienstag, dem Wahltag, bevor die Wahllokale aufmachten, gesagt, dass das Rennen inzwischen sehr knapp geworden ist. Das hat sich bewahrheitet. Die Auszählung ist noch nicht vorbei, aber gibt es jetzt, am Mittwoch, angesichts der schon verfügbaren Zahlen einen Gewinner in Ihrem Kopf?
Nein. Jetzt gibt es eine ganze Reihe von verschiedenen Faktoren. Offensichtlich wird es länger dauern - es kann sich bis zum Ende der Woche hinziehen, bis es ausgezählt ist. Ich gehe davon aus, dass die Bundesstaaten auch tatsächlich auszählen werden. Das hilft unter Umständen Joe Biden, denn viele Demokraten haben wegen Corona per Brief abgestimmt. Donald Trump versucht das, mit seinen Anwälten zu verhindern, weil er natürlich weiß, dass in diesen Briefwahlkarten viele Stimmen für Biden drinnen sind. Jetzt soll der Sack zugemacht werden, damit das aktuelle Resultat gilt. Was für einen Trump-Sieg schlussendlich noch immer spricht, ist die Tatsache, dass er Florida gewonnen hat. Das habe ich nicht erwartet, dass er dort so deutlich gewinnt. Ich dachte, Florida wird eine Zitterpartie. Aber es ist schon ein Zeichen, dass er da so stark unterwegs ist.
Normalweise heißt es ja, wenn die Projektionen zu stark für die eine Seite ausschlagen, bleiben die Anhänger zuhause.
Ja, aber das war diesmal nicht der Fall. Die Wahlbeteiligung war sehr hoch, das ist eigentlich ein gutes Zeichen für die Demokratie.
Wenn das Trump-Lager damit Erfolg hat, dass mit Worten wie Marxismus und Sozialismus herumgeworfen wird, wieso hat dann das Biden-Lager keinen Erfolg, wenn es Trump einen Populisten, Demagogen und Faschisten genannt hat? Biden hat Trump auch in die Nähe von Goebbels gerückt.
Die Motivation der Biden-Wähler ist nicht das Bewahren des Status quo, sondern eher wie bei Barack Obama, "Change". Die sagen, wir wollen einen Wechsel. Das Argument hat Biden eigentlich zu wenig gespielt, das haben erst Bidens Wähler wieder aufgebracht.
Womit hat Trump noch die Stimmung drehen können? Waren es die Ausschreitungen bei den Protesten gegen Polizeigewalt? Oder seine überstandene Corona-Erkrankung?
Wir haben nachgewiesen, dass die Corona-Erkrankung Trump noch eine Gratis-Kampagne im Wert von einer Milliarde Dollar eingebracht hat. Da hat er noch viele Menschen erreicht, die er sonst gar nicht erreicht hätte.
War es Mitleid oder war es der Gedanke: Wenn es ein Mittsiebziger überlebt, kann das Virus nicht so schlimm sein?
Beides. Es war anfangs Mitgefühl und dann die amerikanische Tellerwäscher-Geschichte: der Aufstieg, wie Phönix aus der Asche.
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