Österreichischer Hotel-Manager in Kiew über das Leben in der Ukraine.
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Der Steirer Christoph G. Ganster lebt und arbeitet seit acht Monaten in Kiew, wo am 1. Juli das Finale der Fußball-Europameisterschaft stattfinden wird. Er ist General Manager des Fünfsterne-Hotels "Fairmont", das im März eröffnet hat. Der Weltenbummler spricht im Interview über die Stimmung in der ukrainischen Hauptstadt, die Berichterstattung ausländischer Medien und Alltagsprobleme. Mit Kritik an der ukrainischen Regierung hält er sich zurück.
"Wiener Zeitung": Wie ist - so kurz vor Beginn der Europameisterschaft - die Stimmung in Kiew?Christoph G. Ganster: Die Stimmung ist sehr gut. Die Leute freuen sich auf die EM und sind zuversichtlich, dass das Ereignis gut über die Bühne gehen wird. Die Sicherheitsvorkehrungen sind gut. Seit kurzem sind Straßen und U-Bahn auch in Englisch ausgeschildert.
Die Stimmung im Ausland gegenüber der Ukraine war in den vergangenen Wochen weniger gut.
Das ist das größte Problem. Die europäischen Medien bauschen jede Kleinigkeit auf. Etwa diese Rassismus-Geschichte (Eine BBC-Doku offenbarte Probleme mit Rassismus, Antisemitismus und Gewalt unter Fußball-Fans in Polen und der Ukraine, Anm.) - die ist völlig aus der Luft gegriffen. Über die Sache mit den Massentötungen von Straßenhunden habe ich erst aus Österreich erfahren.
Auch der Fall der inhaftierten Ex-Ministerpräsidentin Julia Timoschenko sorgte im Ausland für großes Aufsehen - inwieweit war dies in der Ukraine ein Thema?
Natürlich haben die Medien darüber berichtet. Die Proteste sind freilich spärlich ausgefallen. Die Opposition hat etwa zu einer Demonstration aufgerufen, zu der aber nur 500 Menschen gekommen sind. Nach dem Scheitern der Orangen Revolution scheint sich eine gewisse Resignation in der Bevölkerung breitzumachen. Die Menschen wissen, dass sie machtlos sind. Die einzige Möglichkeit auf eine politische Wende ist die Parlamentswahl im Herbst - wobei abzuwarten bleibt, welche Parteien kandidieren werden.
Was halten Sie von den Boykott-Ankündigungen europäischer Politiker für die Fußball-EM?
Diese Boykotts sind völlig sinnlos, sie ändern nichts an der Politik im Land. Auch Julia Timoschenko ist dagegen. Aber Politiker sind eben Rudeltiere. Und wenn Barroso sagt, er kommt nicht, dann ziehen andere mit. Viel besser wäre es, den Dialog mit der Staatsführung zu suchen und wirtschaftliche Sanktionen in Erwägung zu ziehen.
Wie sind Sie mit der Buchungslage für Ihr Hotel während der EM zufrieden?
Die negative Berichterstattung im Ausland ist nicht gerade hilfreich. Jeder denkt zweimal nach, ob er in die Ukraine fliegt oder die EM doch lieber von zu Hause aus verfolgt. Die Airlines haben die Preise verdoppelt. Geschäftsreisende vermeiden deshalb Kiew-Reisen während der Titelkämpfe. Während der Spieltage ist unser Hotel recht gut gebucht. Das Problem sind die spielfreien Tage. Die Zimmerpreise sind während der Euro um 20 bis 30 Prozent erhöht. Zum Viertelfinale und zum Endspiel sind die Preise dann noch einmal höher.
Was erhoffen Sie sich von der EM?
Ich hoffe, dass die EM reibungslos über die Bühne geht und die Medienberichterstattung fair ausfällt. Stadt und Land sollten als Tourismusdestinationen erkannt werden. Das Land hat riesiges Potenzial. Die Menschen sind gastfreundlich. Kiew ist ein verstecktes Juwel, so wie Budapest oder Prag vor 15 Jahren. Leider betreiben Staat und Stadt keine Tourismuswerbung. Wir Hoteliers haben uns daher selbst auf die Beine gestellt. Wir sind auf Messen vertreten, arbeiten mit Fluglinien zusammen und bieten Urlaubsarrangements an.
Wie lebt es sich grundsätzlich als Ausländer in Kiew?
Ich fühle mich hier sehr wohl. Es gibt Communitys für Ausländer. Es sind auch viele Deutsche und Österreicher hier. Wir haben einen monatlichen Österreicher-Stammtisch. Auch wenn man der Sprache nicht mächtig ist, wird man freundlich aufgenommen. Das Negative ist die Korruption, die einem auch im Alltag stets begegnet. Eine Verkehrsstrafe zahlt man schon einmal ohne Beleg.
Haben Sie Verhaltenstipps für EM-Touristen in der Ukraine?
Wenn man auch nur ein paar Wörter Ukrainisch oder Russisch spricht, kommt das bei den Leuten sehr gut an. Es gibt keine speziellen Touristenfallen. Man sollte natürlich nicht halbnackt in Kirchen gehen oder Menschen fotografieren, ohne sie um Erlaubnis zu bitten. Mit Fragen in Englisch sollte man sich eher an die jüngere Generation wenden, die die Sprache meistens ein bisschen beherrscht.